Ich bringe dich um…

…dann folgt noch der Name des Angeschriebenen, oder in seiner Opferrolle Herausgeforderten. Ich möchte den Namen nicht nennen. Die Täter -und Opfergemeinschaften sind lieber unter sich, wenn sie sich in den entscheidenden Augenblicken dem Rollenspiel ihrer vereinbarten Dramaturgie hingeben.

Die gesprayte Parole las ich auf einem am Boden liegenden Tannenstamm in einem Wäldchen am Wegrand, wo ich mich jeweils spazierenderweise zu entspannen pflege. Immerhin ein klares Bekenntnis, dachte ich für mich; sie sind selten geworden. In unseren Breitengraden pflegen nur wenige eine Kultur der klaren Aussagen und Verhältnisse.

Meistens ist es so, dass man hofft, die Probleme lösten sich von alleine, oder noch besser, man schweigt es zu Tode. Mit etwas Übung lässt sich praktisch alles totschweigen. Gut, auch dieser Spruch „ich bringe dich um“, ist ein noch einzulösendes Versprechen und weist in eine unbestimmte Zukunft.

Mordrohungen übrigens ein Tatbestand, der ein gerichtliches Nachspiel haben kann. Sonst aber, ist das Morden nichts aussergewöhnliches, sondern eine Sache, die sehr typisch für den Menschen ist, wenn er nicht sogar das alleinige Monopol dazu errungen hat. Ein fester Bestandteil seiner Kultur, ein traditioneller Wert.

Es gäbe keine Dichtkunst und auch sonst nur weniges, zb. auch viele kulturelle Errungenschaften nicht, wenn es dieses Morden nicht gäbe. Man könnte behaupten, dass es für den Anstoss zu einer Kulturentwicklung Brutalität und Bedrängnis braucht. Das Töten, nur so nebenbei bemerkt, setzt die Vorstellung eines Todes voraus.

Bei Faulkner las ich letzthin diese herrlichen Zeilen: „Es braucht zwei Menschen, um einen zu machen, und einen, um zu sterben.“ und bei Rilke gefror mir kurz das Blut bei der Stelle wo es heisst: „Und was gab das den Frauen für eine wehmütige Schönheit, wenn sie schwanger waren und standen, und in ihrem grossen Leib, auf welchem die schmalen Hände unwillkürlich liegen blieben, waren zwei Früchte: ein Kind und ein Tod.“

Nun gut, wer will, der bringe sich oder den anderen um, es wird schon seine Richtigkeit haben, auch wenn es wenig Sinn macht den Tod zu forcieren und man also die Zeit auch geradeso gut mit anderen Beschäftigungen totschlagen kann. Die Zeittotschlagerei ist vorteilhafterweise ein Ding, für das man nicht vor den Richter gezerrt wird.

Die Zeit, egal ob gelebt oder totgeschlagen, sie scheint ohnehin unbeeindruckt und wirkt unveränderlich weiter auf uns ein…

William Faulkner: „Als ich im Sterben lag“
Rainer Maria Rilke: „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“

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