Für eine etwas weniger kannibalistische Weltordnung

Nachfolgend meine Laudatio, vorgetragen an der Vernissage von Milk and Wodka’s Ausstellung in der Schaffhauser Kantonalbank am 5.Sept 17 // © Pierroz

Liebe Freunde, werte Gäste dieser Vernissage

Mit einem gewissen Unbehagen stehe ich jetzt hier in dieser Bank. Ich kann, ehrlich gesagt, weder für das Bankwesen Sympathien aufbringen, noch den Turbokapitalismus unserer Zeit gut heissen.

Ein Aspekt meines Unbehagens ist auch das Mitgefühl für die Kunstschaffenden, die durch diesen Turbokapitalismus, Opfer der Gentrifizierung werden, immer weniger günstigen Wohnraum und Ateliers finden, die sie als Kleinstunternehmer unbedingt brauchen. Paradoxerweise werden sie dann von denselben Akteuren, die sie ihrer Existenzgrundlagen berauben, mit Fördergeldern und anderen Almosen wieder aufgepäppelt.

Während der Vorbereitung für meine Worte hier, habe ich die 125 Jahre Kantonalbank-Jubiläumsausgabe des Schaffhauser Anzeigers durchblättert. Mir fiel auf, dass überall, wo Bankangestellte abgebildet sind, im Hintergrund irgend eine Ecke eines Kunstwerkes sichtbar wird. Warum eigentlich, ist mir schleierhaft. Ein Motorsägenhändler zum Beispiel, hat in seinem Laden logischerweise Ansichten von den aktuellen Motorsägenmodellen an der Wand hängen. Bei einer Bank so stellte ich mir vor, wäre das ein Portrait eines wichtigen Kunden, wie zb. das eines Minenbesitzers, eines Pipeliningenieurs oder zb. die Büste eines südamerikanischen Präsidenten, wo man sich vielleicht im Obsthandel engagiert, was weiss ich?
Egal, eine rein dekorative und schöngeistig verharmlosende Funktionalität für Banken, bieten die Werke von dem jetzt hier ausstellenden Künstlerduo Milk & Wodka nicht an. Ihre Sprache ist zu direkt und die in den Bildern wie in den Objekten gestalteten kulturkritischen und politischen Aussagen sind zu offensichtlich provokativ. Ich freue mich dennoch tierisch auf den Tag, wenn in den Medien das erste Milk & Wodka Bildwerk im Hintergrund eines porträitierten helvetischen Rohstoffdealers oder eines eidgenössisch demokratisch gewählten Ausschaffungskönigs hervorleuchtet. Darum bitte ich sie: Kaufen sie diese Bilder und Figuren, – schenken sie sie ihren besten Feinden. Auf diese Art werden sie aktiv für eine dringendst notwendige Bewegung in Richtung einer etwas „weniger kannibalistischen Weltordnung“, wie es Jean Ziegler in seinem Buch mit dem Titel „Wir lassen sie verhungern“ so treffend formulierte.

Denn was diese beiden Kunstschaffenden mit ihren Arbeiten zeigen, ist unerschütterlicher Widerstand, gegen eine Gesinnung einer Gesellschaft, dessen Ergebnis sich in einer raubaffenartigen Gier und einer im Endeffekt destruktiv suizidalen Technik manifestiert. Doch anstatt Weltenekel zu verbreiten, halten uns Milk & Wodka bei kecker Laune zum bösen Spiel. Ihre Werke überzeugen durch geradlinige Aufrichtigkeit. Sie verbergen sich nicht hinter Kunstgriffen, sondern malen mit klaren starken Strichen ihre Interpretation dessen, was wir als unsere tägliche Normalität definieren, und, so scheint es, eine Normalität mit der sich immer noch viele mühelos anfreunden können. Viele, aber nicht alle.

Die hiesige Gesellschaft, eine hauptsächlich durch die Kaufkraftdiktatur geformte, zeitigt viele seltsame Früchte und Produkte, welche dann zu goldenen Quellen für die geschärfte Denke und Empfindsamkeit dieses Künstlerduos werden.
Sie entlarven mit rebellisch knalligen Farben und Formen, irrwitzigen Kreaturen den ganzen Irrsinn und das Kranke unserer Zeit, – mit Punk, Rotz, Trotz und Übermut. Was für ne Wumme haben die zwei: – Grossartig!, schalkhaft, teils skuril, bösartig, von zynisch bis sarkastisch sind ihre Werke, trotz alledem auch knallig lebensfroh, bunt verspielt, mit Witz. Die einzelnen Figuren und Charakteren sind mit Sorgfalt kreeirt, werden weiterentwickelt und tradiert, es ist wahrlich Pop, wo jeder Strich und Fleck seine klare Herkunft und Bestimmung hat. Die Kunstwerke sind mit einer bis ins Detail klar gedachten Absicht hergestellt, einzeln, in Serien, als ein Gesamtwerk der Evolution einzelner Figuren und Symbolen. Was für eine Gegenwelt zu unserem zwar demokratischen, doch im Endeffekt chaotischen, täglichen Gewusel!

Milk & Wodka zeigen uns das Zerrspiegelbild einer durchgestylt und vom kommerziellen Denken und Handeln infizierten Menschenwelt. Inklusive der perversen Logik der totalen Vermarktung, wie zb. das Züchten und Abrichten nachkommender Generationen an Labels, Ladenketten und Marktgiganten. Ihre neu lancierten Kindermalhefte Milk & Honey seh ich als eine ihrer, wie immer auch gewagt, reaktionär subversiven Aktionen, die aber im Gegensatz zu jenen von der Marktwirtschaft lancierten Manipulationsprodukte, sympathisch humorig sind.
Ich persönlich freue mich, gerade jetzt in dieser neo-spiessbürgerlichen Zeit, obwohl ich nicht weiss ob solche gesellschaftlich mikroklimatischen Veränderungen hier in Schaffhausen überhaupt spürbar werden, freue ich mich riesig, auf eine durch die Milk & Wodka Philosophie inspirierte Jugend, weil eine frische Denke, so meine Ansicht, dringend not tut.

Effektiv gäbe es aber diesen Pop – Brut nicht, wenn die Welt nicht so wäre wie sie ist, nämlich in diversen Schieflagen. Somit verdanken wir diese Kunstform also uns selbst, es ist eine Antwort auf den Scheissdreck, den wir täglich produzieren, teils ohne, teils mit Überzeugung.
Die Geniestreiche von Milk & Wodka’s Werken liegen darin, dass sie eine Auseinandersetzung mit bedrohlichen Ereignissen unserer Zeit, ohne sie zu verhamlosen führen, ohne sie zu banalisieren. Mit Witz, Spott und auch Nonsens aufgemischt, ist das Resultat ihrer alles in Frage stellenden Arbeiten, eine ihr ganzes Werk durchstrahlende, unverwüstliche Lebensfreude.

An dieser Stelle möchte ich der Schaffhauser Kantonalbank, ein doch auch respektvolles Dankeschön zusenden, dass sie Interesse für gesellschaftskritisches Kunstschaffen zeigt. Einen lieben Gruss auch an den Kunstverein Schaffhausen, der als Macher kulturdiplomatisches Geschick beweist. Es ist wichtig, dass wir alle miteinander im Gespräch sind, dass wir mit möglichst grosser Geduld Auseinandersetzungen führen und darauf achten, dass wir nicht im Affekt, bei einer ersten Begegnung uns gegenseitig gleich die Schädeldecken eindrücken.

Ich persönlich bin überzeugt, dass es Kunst in hundert Jahren noch geben wird, ob es dann noch Banken braucht, bin ich mir nicht so sicher.

Pierroz mit Remo und Roman von Milk + Wodka

Wohlan, – Ich Danke herzlich für Euer Ohr und wünsche nun allen viel Vergnügen in den besten aller Welten, in den Bilder – und Figurenwelten von Milk &Wodka.

ps: Die hier abgebildeten Werke, zeigen wir mit der freundlichen Genehmigung von Milk and Wodka

ps2: Presse-Echo in den Schaffhauser Nachrichten

ps3: Reaktion auf die Pierroz‘ Laudatio: Leserbrief in den Schaffhauser Nachrichten

 

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