ZanRé – RITH‘ o‘ GEN’s 2011

RITH‘ o‘ GEN’s 2011 – Ein Szeneepos aus dem Kreis 3, oder die Leiden eines nicht mehr ganz jungen Secondos in Zürich, Anfangs der Zweitausender Jahre; eine tragisch humorige Komödie mit surrealem Einschlag von Pop-Brut Artist und Autor ZanRé .

RITH‘ o‘ GEN’s 2011 ist das Journal eines verschrobenen im Prekariat laborierenden Zürcher Stadtneurotikers und seiner verrückten Freunde und Freundinnen und reicht bis zur Antwortsuche grundlegendster Existenzfragen.

Eine Stadt lebt ja selten aus sich selbst heraus, sondern mehr von dem, was in sie vorzu hineingetragen wird. Im Fall von Zürich wurde vor Jahren ein gewisser Luca Tambini, die Hauptfigur dieses Romans, in diese Stadt hineingeboren, von Eltern, die wahrscheinlich durch Wohlstandsversprechungen angelockt, aus Italien in die nordische Limmatstadt gezogen waren.

Luca Tambini, von seinen Kollegen wegen seiner Schwäche zu gebratenen Kartoffeln „Rosti“ genannt, war wohl wie viele andere Secondos seines Schicksalsschlags dafür auserkoren, es einmal besser haben zu sollen, als seine Eltern. Eine damals verbreitete Wahnvorstellung. Dass das schief laufen musste, um dann doch zumindest für ein permanentes Straucheln zu reichen, ist Rostis stupendem Überlebensdrang zu verdanken, egal als was für ein Murks das sich dann hinterher auch immer heraustellte.

Der Murks, den Tambini in Zürich produziert, ist bunt, blumig und auch sehr fruchtig, wie das für Früchte aus dem Süden Europas typisch ist, die Säure oder Bitterkeit entsteht eigentlich erst durch die toxische Mischung, zu dem dieses Gemüt in den hiesigen, tendenziell doch eher nordisch frostigen Gefilden heranreift.

Diesem Strampeln & Straucheln dieser durch alle Register abstürzenden neurotischen Figur zuzuschauen, ist durchwegs eine lustbringende und amüsante Sache, und dann ist Tambini ja auch bestens aufgehoben in einem Freundes & Bekanntenkreis von ähnlich Gearteten, die der durchwegs maroden Szenerie zielsicher grelle Farbspritzer beisteuern.

Die Hauptbühne der ganzen Szenerie liegt, wie bereits erwähnt, in der Stadt Zürich, genauer im Kreis 3, der liegt wie der Kreis 4 ennet der Limmat und ist im Zuge von Industrialisierungsschüben als Arbeiterwohnquartier gebaut worden, was es teils bis heute geblieben ist. Tambini haust, lebt und findet dort eigentlich alles, was er für seinen, nah der Kunstbranche angesiedelten improvisierenden Lebensstil braucht: keine Aufträge, kein Geld, keine Partnerin, dafür Probleme aller Art, die er mit viel Talent mit seinen Kumpels und Kumpaninnen teilt: Liebeskummer, Einsamkeit, Drogen, Wahnsinn und Kriminalität.

ZanRé - Waro - Pop Brut Skulptur

Den Handlungsstrang in Kurzform darzustellen ist unmöglich, darum streue ich in Stichworten, was einem in Zanrés Roman »RITH‘ o‘ GEN’s 2011« alles begegnet: Der Überlebenskünstler Luca „Rosti“ Tambini, die Stadt Zürich, eine tote Edelnutte, Raben, Neurotik & Hirnschiss, Probleme aller Art, Sex, Kunsttransporte, Rösti, eine Rudolfo Hess Stiftung, Schlägereien, ein Tom Stark aus Wien, Adam der Spinner, Drogen & Drogenkrartelle, eine Beretta, Heiligenbilder aus Argentinien, Existenzängste, das Bubbles, Geldwäsche, ein Nord-Engländer namens Jason Krüger, Friedhof Sihlfeld, Suizid, Autounfälle, das Kriegstagebuch Zanrés Grossonkels, Italien, Pizzakurier, Sozialamt, Polizeiposten, Hellerei, Kunstfälschung, die schöne Gulia Lo Bello, die Meier Bar im Lochergut, Street Parade, Tambinis Ex die Katja, ein Zeitloch, bedingungsloses Grundeinkommen, Jim Morrison, „Rith‘ o‘ Gen“, die Formel um die Welt in den Griff zu bekommen, Transmutation, Wolgroth, Aussenseitertum, Geburtstagsparty, Prosecco, Polizei, Panzer – ein Knall, zum Schluss ein Spaziergang Richtung Pfannenstil mit Luca „Rosti“ Tambini und Franca.

Es gibt diverse Handlungsstränge und in der Summe aber auch keinen, weil sich alles im Kreis dreht, und im Endeffekt schaut eigentlich nichts dabei heraus; so sind Menschen, so ist das Leben. Nebst der Hauptfigur, eben diesem Secondo Luca Tambini, gibt es noch andere, die von diesen wirren Ereignissen in diesem Stadtviertel, diesem Kosmos des Desasters berichten: Freunde, Feinde, Geliebte von Tambini, solche die es einmal waren oder hätten werden können.

ZanRé - Autor und Pop Brut Artist, Zürich 2023

Die einzelnen dieser Clique erzählen alle das Gleiche, aber eben aus ihrer Perspektive und schildern, wie sie das Erlebte zu deichseln versuchen. So erlebt der Leser viele Szenerien mehrmals, immer von einer anderen Figur erzählt. Autor ZanRé hat das sehr clever gemacht, schon allein für das muss man ihm ein Kränzchen winden, weil es eine meist etwas zu schwach beleuchtete Tatsache aufgreift, nämlich die, wie stark sich unsere Wirklichkeiten voneinander unterscheiden, und dass gerade diese Unterschiede einen wesentlichen Anteil an jedem Schlamassel haben. Autor ZanRé macht dies auf eine ungemein lustvolle und spielerische Art, auch wie er die unteren Segmente und Randerscheinungen dieser Stadtgemeinschaften ausleuchtet, trägt ein schalkhafter, teils auch schwarzglänzender Humor, was dieser Stadt, so unentschieden, wie sie in vielem damals so um 2011 war, sehr gut ansteht.

Wie war denn das damals? Ich denke das war so, dass die halbetablierten Freaks und Anarchos abzutreten hatten, weil sie von einer tafferen, vielleicht auch kaltschnäuzigeren Generation gleichgearteter abgelöst wurden, aber Mühe hatten das zu akzeptieren. Dann wurde für das unterste Segment auch der Sumpf, in dem sie bisher so knapp über die Runden gekommen waren immer trockener, die Stadt brauchte keine mit Kleinkram geschäftende Menschen mehr; lethargische Statisten, die dem wirklichen Geschäftsbetrieb nicht in den Weg kamen, taten es vollends.

Tambini ist somit quasi ein Letzter Mohikaner und klar, dass er dabei immer knapp am Durchdrehen ist, wobei seine Erbanlagen sein Schlingern noch multiplizieren. Und natürlich kocht die ganze Suppe hoch, läuft über, kann gar nicht anders, gerade auch weil noch mit Weltverschwörungs und Weltrettungsfanatismus nachgewürzt wird. Der Faden, auf dem Tambini tanzt, ist und bleibt sehr, sehr dünn, aber er hält.

Die letzte Szene des Romans schildert so etwas wie ein zaghaftes Frühlingserwachen. Von dem her ist die Erzählung in der Tat eine romantische, denn bis heute gehen viele kaputt in dieser Stadt, Menschen die, falls sie nicht umkommen, sich in Anstalten, Heimen, Wiedereingliederungsstätten und mit Medikamentenkonsum auf Lebenszeit beschäftigen. Diese tragische Wirklichkeitskomponente streift und nennt ZanRés, bleibt aber seinem Pop Brut treu, der hat satirisch und auch ein bisschen fies zu sein, auf diese Weise hält er seine Figuren in Bewegung, hält die Ausgänge frei und meidet Sackgassen – zu Recht wie ich finde.

ZanRé - RITH' o' GEN's 2011 - Songdog Verlag, Bern

Ich habe dieses, aus der „Perspektive von unten“ geschriebene Buch liebgewonnen, auch wenn es mir ab und an ein bisschen zu vollgepackt war. Alle möglichen, unmöglichen und vorstellbaren Kulturbrüche- & Katastrophen sind vollumfänglich und vollzählig dargestellt. Was diesem Secondo und seinen Leidensgenossen und Genossinnen widerfährt, ist plausibel, die Darstellung der Stadt Zürich der Zweitausendzehner Jahre auch. Ich habe teils Vergleichbares erlebt oder erzählt bekommen.

Manchmal wurde ich ein wenig stinkig beim Lesen, wenn mir der Tambini mit seinem ewigen, das Desaster heraufbeschwörenden Affentheater auf den Sack zu gehen anfing. Das leierte mir manchmal etwas zu stark, auch die unterschiedlichen Charakteren verschmieren teils ein wenig zu einem Brei, oder färben gegenseitig ab. Egal, das Bild von Zürich ist überaus gelungen und nun in diesem tollen Buch dokumentiert. Absolut gut, dass es dieses Buch gibt, denn etwas Vergleichbares ist nur schwer zu finden, obschon Zürich natürlich für schon so manche, in der Überzahl aber leider lendenlahme Literaturen hat hinhalten müssen.

Ein verstörendes Element enthält »RITH‘ o‘ GEN’s 2011«, das ich noch erwähnenswert finde: Es sind die Kriegserlebnisse des Grossonkels von ZanRé. Es sind Berichte über Greuel, die die Wehrmacht in Italien während des 2.Weltkriegs verübt hat. Diese Erlebnisse sind puzzleartig in den Erzählstrang eingeflochten und haben keinerlei Verbindungmit dem Chaotikum von Tambini in Zürich. Zuerst fand ich das irgendwie irr, nachträglich aber bemerkte ich, dass sich das Schicksal des Grossonkels sehr wirkungsvoll mit der Erzählung in Zürich kontrastriert, die eine ganz andere Wirklichkeit darstellt. Der Effekt ist der, dass, das die zürcherische Erzählung und deren neuzeitlich neurotisches Gefälle, diese angezählte, in einem Faulungsprozess befindliche Zivilisation, als wäre es mit einem Leuchtstift markiert, grell und ätzend hervorsticht.

Text: Pierroz // Bilder: Vitaltransformer; Buchcover, Werke von Pop Brut Künstler ZanRé, Porträt von ZanRé, Zürich, El Local 2023

Service Public: Webseite ZanRé // ZanRé, Webeintrag beim Songdog Verlag Bern // ZanRé bei Vitaltransformer

Ein Kommentar

  • Pedro Meier hat auf INSTAGRAM folgendes Foto gefunden mit dem Titel: – »Autor und Multimedia Artist Pedro Meier liest in ZanRés Roman DITH’o’GEN’s 2011- Tatort: im Restaurant Bahnhof Wiedikon, Zürich, Mai 2023 – (Speisen: Bratwurst mit Rösti – Getränke: 3. 4 Feldschlösschen–Bier) – Kunstsanatorium / Vitaltransformer«

    Hier der Link zu diesem Foto und dem INSTAGRAM Beitrag:
    https://www.instagram.com/p/CsMp1WBtIe1/

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