Draussen im Gestrüpp die Bahnstation. Seldwyla. Abgesehen vom Stationsgebäude kein Haus in Sicht. Nur eine karge waldige Halde mit Föhren, Eichen, mageren, von Wildreben überwucherte Eschen. Niemandsland. Ein Wegstreifen führt hinunter zum Bach. Hier hätten laut Gottfried Keller die Fertigen von Seldwyla gefischt.
Dem Bach entlang nasse Matten, die gerade renaturiert werden. Bagger stöhnen, ein hin und her von Lastwagen. Auch die Luft voller lärmenden Jets vom nahen Flughafen Zürich. In Schüben Starts und Landungen. In der Nacht ein klein geschmolzener Flecken Stille, nehme ich an. Vorschriften. Der Wegstreifen mutiert zur Asphaltpiste. Eintritt in ein Aussenquartier. Betonblöcke, zweigeschossig, wie überall. Abfallcontainer perfekt im Winkel aufgestellt.
Fliessender Übergang zu rustikal ambitionierten Neu- und renovierten Altbauten. Geldadel mit Hang zu biederer Romantik. Antiker Gerümpel liegt auffällig zufällig herum: Nabenräder, Pflüge, Fuhrwerkgeschirr, Obstpressen, alte Schuhe, Rostware. Ballenberg, Freilichtmuseum-Ambiente. Einige Handwerker, sonst kaum ein Mensch.
Ich finde den »Grüne Heinrich Brunnen« weswegen ich hergekommen bin. Schiesse einige Bilder aus der möglichst gleichen Perspektive wie die, meiner gefundenen alten Ansichtskarte. In einem Schulhof stehend, Privatgrund, verboten. Danach die Dorfstrasse hinab.
Komme am Seldwyler Gemeindehaus vorbei. Fotografiere dort das Mural, ein Gottfried Keller Portrait. Bunt, Kunst muss es ja nicht sein, bürgerlich kompatibel, brausender Applaus im Lokalblatt, Einweihung mit Blaskapelle. Brechreiz vermeidend, schneide ich meinen Gedankenfaden ab. Schere bei der nächstbesten Möglichkeit nach rechts aus. Raus hier.
Einen Hang erklimmend, eine Autobahnbrücke überquerend, gerate ich in das Regelwerk dieses Gottfried-Keller-Rundweges. Tafeln folgen mit Lyrik des Zürcher Staatschreibers. Was für eine weinselige, in Verse gegossene Sülze. Lieber nicht lesen, lieber woanders hinschauen.
Auf einer Anhöhe angekommen, Mutterkühe mit Kälbern auf der Weide. Fettes Grün mitten im Winter, nicht nur in Seldwyla. Völlig normal. Traktoren- und Motorsägelärm aus dem nahen Wald. Ein Blick auf eine Kuppe, einen Acker, der an den Schauplatz der beiden pflügenden Bauern in »Romeo und Julia auf dem Dorfe« erinnert. Eintritt in den Wald, später Abstieg nach Eglisau.
Dort wird die Eisenbahnbrücke über den Rhein saniert. Hochdruckreiniger zischen einem das Hirn weg. Was um den Bahnhof einmal Wiese war, ist praktisch alles überbaut. Das von der SBB verlassene Stationsgebäude versucht sich als Kulturpalazzo. Eine S-Bahn fährt ein, hält, ich steige ein und komme fort.
© Der Tote Koller 2020
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