Katja Brunner’s Sprechtext »Ändere den Aggregatzustand deiner Trauer«, beginnt mit zwei kleinen Prologen, um dann mit einer Auslegeordnung von Puzzlestücken die Themenkreise und Begleitereignisse eines Todesfalles einzuordnen.
»Keiner hilft tragen und keiner siehts, weil nicht jedem dieses Auge gegeben ist, mir nicht dir nicht, kaum jemandem oder nur bestimmte Augen für bestimmte Bedürftigkeiten, die sind einander zugeteilt worden irgendwann«
Eine solche literarische oder theatralische Unternehmung birgt tausend Gefahren schiefzulaufen – und ich staune, wie frech und mit wieviel Lust, Katja Brunner sich durch dieses Abenteuer schwingt. Mit ihrem Debut »Geister sind auch nur Menschen«, das zwei Sprechtexte enthält, knallt Katja ein verdammt starkes Stück gute Schreibe auf den Büchertisch.
Ich wurde beim Lesen bei »Ändere den Aggregatzustand deiner Trauer« zunächst nicht wirklich schlau, wo das Stück hin will, aber das erhöhte die Spannung noch. Die blieb dann konstant hoch, und zittert noch immer nach, auch jetzt wo ich mit der Lektüre schon längst fertig bin.
Mir kam es vor wie ein stetes Umkreisen eines unfassbaren Kerns: Bilder und Sätze, die sich zuerst nur unscharf abzeichnen, die dann immer deutlicher werden und in ihrer Deutlichkeit dann auch zubeissen.
»…und im Hiersein, da wünschte ich mir ein Wegsein, und im Wegsein musste es einen Weg geben, weg zu sein, nur auf jedem Weg lauerte wieder ein Hier.«
Ja, es geht um Suizid und die Not, Verwirrung und Verunsicherung der Zurückbleibenden. Das ist etwas, was wir hier im Diesseits gemeinsam haben: Immer wieder werden wir uns als Zurückbleibende oder Verlassene akzeptieren müssen.
Katja Brunner schafft das unpathetisch und frei von irgendwelchen flügellahmen Ausflügen ins Philosophische. Echt Kool und was für ein Lesespass. Wenn die hungerleidenden Maden zu Wort kommen, weil die Menschen immer älter werden und sich das Sterben verbieten. Oder ein Fuchs der gedankenverloren zwischen Müllsäcken durch die Aglo schnürt…
Nahrhafte Kost, muss ich schon sagen. Und was da alles abgeht auf diesen eigentlich knappen hundert Buchseiten. Und doch kommt es locker daher, spielerisch verwegen auch die Gestaltung.
»Dass da ein junger Mensch sich selber, dass da seine Autoaggression so gross ist, dass er sich selber nicht mehr erleben kann, dass er sich das eigene Erleben verbietet, also wenn man weiss, dass die das zu verantworten haben, dann braucht man in der Schlange an der Kasse nicht mehr zu lächeln«
Durch die Struktur, mit der dieser Sprechtext angelegt ist, wird dessen Essenz erst gegen Schluss deutlich. Zusehends beginnen die einzelnen Puzzleteile sich zu verbinden und ihre Wirkung zu entfalten. Das fährt ein und der Text wird in der Tat zu einem ungemein starken Leseerlebnis.
Beide Edition Spoken Skript 41 Texte: »Ändere den Aggregatzustand deiner Trauer« und auch der zweite: »Geister sind auch nur Menschen«, der bereits als Theaterstück erfolgreich realisiert wurde, sind mit ihrer geballten Aussagekraft sehr beeindruckende literarische Arbeiten.
Veranstaltungstipp: Literaturperformance mit Katja Brunner & Dadaglobal – neues Datum: Freitag 3. Juni – Tickets / Infos / Vorverkauf – Bei den Auftritten mit ihrem humorvollen und sozialkritischen Sprechtext «Geister sind auch nur Menschen», liess sich Katja Brunner von den experimentellen Elektrosounds des Musikschaffenden Dadaglobal begleiten. Laut eigener Aussage hätten sie dabei jede Menge Spass gehabt. Und so trifft man sich natürlich gerne wieder, wenn sich eine Gelegenheit dazu bietet. Und so soll es geschehen, am Freitag 3. Juni…
Die Chaoszentrale: Kunstraum & Treffpunkt Oberdorfstrasse 14 8340 Hinwil – eine Initiative von Echo Kollektiv
Edition Spoken Word / Katja Brunner u.a. bei Echo Kollektiv News: EDITION SPOKEN SCRIPT 40: »WAR EINST BRANDY…
Service Public: Katja Brunner – »Geister sind auch nur Menschen« – Edition Spoken Word 41 – bei: Der Gesunde Menschenversand
Ein Kommentar
Der Zustand
in meinem Befinden
manchmal
aus unerfindlichen Gründen
der Tod als Ziel
wartet meiner
Lebensgeschichte
der Erklärung
der Wirklichkeit
die Auflösung
mit dem letzen Atemzug
das innere Auge
des anderen
kann sich in mir
konnte sich in mir
nie festbeissen
konnte mich nicht sehen
weil er nicht
in meinem Geist
in meiner Seele gelebt hat
das sagt mir der Tod
denn die Bedürftigkeit
hat ein jeder
sie ist jedem
auf seine
einzigartige Weise
zugeteilt
das sagt mir der Tod
das schief liegen
in Not
Verwirrung
Verunsicherungen
als dem ich
unlieb zurückblieb
war mir behilflich
mich in meinem Leben
im täglichen Versuch
mich aufrecht
zu benehmen
zum Glück hätte ich
keine verdammt
gute Schreibe gehabt
ich könnte
nicht hier gewesen sein
nach meinem wegsein
denn danach lauert
nach dem Diesseits
das Nichtsein
noch vor
den zitterigen
Gedanken
zum endgültigen Abschied
sagt mir der Tod
was zurückbleibt
soll nicht viel sein
weil ein jeder
in seinem Leben hat
was er selbst ist
und zu haben
für sich hat
die Freunde
der Menschen
sind nicht flügellahm
sie erheben sich
sie überschreiten
willentlich die Grenzen
von Leben und Tod
sagt mir der Tod
die Gegenwehr
gegen sich selbst
ob jung oder alt
in allen Belangen
hilft nicht viel
niemand kann sich
sein Leben verbieten
auch in der Selbsttötung
vor dem Ende
sagt mir mein Tod
Geister sind keine Menschen
auch wenn sie sich
im Traum so benehmen
als wären sie nicht tot
ich bin nicht der Autor
meiner Träume
im Drama der Seele
meines Lebens
wo ich
in der Innenwelt
in der Verdopplung
zur Aussenwelt
in mir
eine Nebenrolle
zu spielen habe
flüstert mir tagtäglich
seit meiner Kindheit
der Tod
dann muss ich
nicht mehr
dann wenn
es mir Zeit ist
ich bin Zeit
für eine kurze Zeit
an der Kasse
zum Jenseits warten
verspricht mein
der Tod