….nein, nicht einmal »niemand« ist mehr hier, wenn du dann nach Hause kommst. Der Vogel, der hier war, ist ausgeflogen. Implosionen leicht entzündbarer Sprachsedimente im Innern des Zerrütteten, hätten seinen Käfig anfänglich nur erzittern lassen, später, nach einigen Wochen sei das schwarzlackierte Drahtgeflecht aber wie verfaulende Spaghetti auf den Teppich hinabgesunken, sei diesen verunzierend dann zusehends einem langsamen Vergammeln anheimgefallen.
Man hat sich kaum getraut hinzuschauen. Den beschmutzten Spannteppich hat man bis auf die gegenüberliegende Strassenseite dieses Sechzigerjahre Betonboombilligblockquartiers maulen gehört. Doch der Vogel wollte schon seit langem partout nichts und überhaupt nichts mehr und nicht einmal mehr nichts als auch nur das Geringste von sich verlauten lassen.
Es muss dem Vogel schon vor Jahren, also vor der Zeit, als er zu uns gebracht wurde die Sprache verschlagen haben. In den uns damals übergebenen Akten gibt es diesbezüglich lediglich eine handschriftlich undatierte Notiz einer Pflegefachfrau, die den Vogel, kurz bevor sie den Raum betreten wo dessen Käfig gehangen sei, die Worte: „Du Arschloch“ gekrächzt zu hören vermeint habe. Die damalige Pflegerin kündigte kurz nach diesem Vorfall ihre Stelle.
Unsere netten Nachbarn hier im Block, haben den Verdacht geäussert, es hätte sich bei diesem sich ständig rupfenden und dadurch äusserst hässlich gewordenen Federvieh um eine missratene Reinkarnation des Halbindianers aus dem Roman „Einer flog über das Kuckucksnest“ handeln können. Dieser habe auch immer geschwiegen und so sich seinen kritischen Verstand in einer total terrorisierten Anstaltswelt zu erhalten versucht.
Es könne aber auch sein, dass mit dem Futter etwas nicht in Ordnung gewesen ist, es kämen einem ja immer wieder solche Horrorgeschichten zu Ohren von heimtückischen Verunreinigungen gerade in der Nahrung für Heimtiere, unseren wahren Lieblingen.
Was sollen wir dir noch mitteilen, ausser uns zu wiederholen und zu sagen dass der Vogel weg ist. Ein Bild von den Überresten seines verlassenen leeren Käfigs könnten wir noch beifügen aber das ändert an den Tatsachen nichts, im Gegenteil, gerade solche Bilder haben die schlechte Angewohnheit, sich in das Innere des Betrachters zu fressen, um dort sich als Erinnerungspartikel in Form von schwelendem Seelenbrand festzusetzen.
Es tut uns wirklich leid. Wir sind aber zu der Überzeugung gelangt, dass sich in deinem Bekanntenkreis sicher noch jemanden anderen in einer vergleichsweise angeschlagenen Verfassung, wie unseren „Verflüchtigten“ auftreiben lässt, um in dessen literarischen Ergüssen Trost zu finden.
Falls dies nicht zutrifft empfehlen wir dir, selber mit Schreiben zu beginnen, um dich dann am eigenen Lesestoff zu berauschen – so schwer ist das gar nicht. Deine literarischen Ergüsse sollten aber, darauf musst du schon acht geben, auf keinen Fall dein eigenes Fassungsvermögen übersteigen. Du verschwendetest dich sonst in für dein soziales Umfeld langweilig mitzuerlebenden Konfusionen und der von dir betriebene Aufwand wäre dann einfach ein Leerlauf ohne Sinn und Zweck.
Wir möchten dich diesbezüglich darauf aufmerksam gemacht haben, das wir noch nie von jemandem gehört haben, der mit einer leergelaufenen Grosspackung angesammelter Sinn – und Zwecklosigkeit höhere Rentenansprüche geltend machen oder eine jungfräuliche Empfängnis vorweisen hätte können. Lasse also Vernunft walten, sprich – bleibe bei deinen tradierten ureigenen und darum sympathisch harmlosen Dummheiten.
© Pierroz – Vitaltransformer 2018
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