Deformance @ Kettenreaktion ArtCampus 2016

Pierroz @ Kettenreaktion ArtCampus 2016 © Pedro MeierPierroz‚ Beitrag für die Satirische Lesung und Performance: „Wir möchten sie doch sehr bitten die gleichen Fehler nicht zu wiederholen“ vom 14. Oktober 2016

Attisholz, Zweiter September Neunzehnhundertsechsundsiebzig (W.Hüsler)

Der amerikanische Reismehlkäfer wurde mit grosser Wahrscheinlichkeit vor cirka 15 – 20 Jahren mit einer Retournahme von über 14 Monate alter Hefe aus der Mühle Niederbipp in unseren Hefebetrieb eingeschleppt. Hr. Trösch (Hefefabrik) erinnert sich noch daran, dass die wegen Ungezieferbefall beanstandeten Hefesäcke äusserlich voll Mühlestaub waren. In den Verschlussfalten dieser Säcke wurden die Reismehlkäfer und Mehlwürmer entdeckt. Die Hefe war im Inneren des Sackes noch einwandfrei und ohne jeden Befall.

Wenn ich mir nun vorstellte, mich, – so wie ich hier jetzt stehe, als einer dieser Hefesäcke, – mit einer auf den ersten Blick nicht überschaubaren Anzahl von Reismehlkäfern und Mehlwürmern zwischen meinen Verschlussfalten, die gerade begännen durch das Sackpapier in mein Inneres vorzudringen?
Stellvertretend für diese Vorstellung meines Wesens, als das eines Sackes, sehe ich einen dieser Mehlwürmer an meinem Haaransatz knapp hinter dem linken Ohr, sich durch meinen Schädelknochen bohren, und dort an dem darunter befindlichen Hirnlappen sich satt fressen. Die Frage stellt sich sofort, was dieser Wurm in meiner Denke als erstes zu verzehren gelüsten würde und weshalb.

deformance- © vitaltransformer-16

In Nähten und Taschen der Hefesäcke eingenistete Käfer brauchen für eine Massenentfaltung mehrere Monate Zeit. Diesem Umstand dürfte es zuzuschreiben sein, dass in all den vielen Jahren diesbezüglich in unserem Betrieb keine wesentlichen Schwierigkeiten auftraten, da normalerweise die Lagerzeit wesentlich kürzer war.
Bei der Fabrikation der Nährhefe, mit bis zu mehrmonatigen Lagerzeiten, trifft dies leider nicht mehr zu.

Das wird wohl nun heissen, dass ich, als einer dieser mehrmonatig zu lagernden Säcke mit Reismehlkäfern und Mehlwürmern zwischen meinen Verschlussfalten, wobei sich einer dieser Würmer gerade knapp hinter meinem linken Ohr in meine Denke bohrt, dass ich dieser Scheisse voll ausgesetzt bin.
„Ihr werdet das Magengrimmen kriegen!“,
rufe ich ihnen zu, – den Würmern, meine ich.
Meine Denke ist schlecht verdaulich. Das ist nicht nur eine narzisstische, mich gerne als Aussenseiter definierende Feststellung, das ist das Resultat einiger prägender Erlebnisse, die sich zu Erkenntnissen, ganz im Sinne Goethes, herausgebildet haben.

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Die Ausmerzung der Schädlinge samt Brut lässt sich nach Ansicht des Schreibenden in unserem Hefebetrieb nur mit einer totalen Begasung aller Räumlichkeiten durchführen.

Variante 1: Technische Durchführung: Abdichtung aller Fenster, Produktionsstopp, Abdichtung der noch verbliebenen Öffnungen und Türen, Begasung des menschenleeren Gebäudes eineinhalb bis zwei Tage, Gasrest Nachweis. Bei negativem Gasrest – Test kann das Gebäude wieder für die Belegschaft freigegeben werden.

So so, man zeigt sich besorgt; – macht Schritte in Richtung Massnahmenpaket und diesen „gewissen Einschränkungen in Ausnahmesituationen“. Ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber diesen „Menschen“ beschleicht mich, – Entschuldigung, der „Belegschaft“ wollte ich sagen.
Da man sich nun um mein Wohlbefinden Sorgen macht, fühle ich mich als ein immerhin vollwertiger Hefesack verstanden und akzeptiert.
Kostet Achzigtausend Schtutz diese Begasungs-Show. Immerhin, da muss ja schon beinahe Liebe mit im Spiel sein; Hehe: ….und die Belegschaft kriegt einen Gasrest – Test, und der wird ja sicherlich negativ ausfallen, egal was da gemessen wird, – sind doch die Produktionsausfallkosten, wenn ich da in die Akten blinzle, unter Zwei Punkt Drei: mit fünfundzwanzigtausend Schweizer Franken aufgelistet.
Ich sehe die Träne im Auge des Produktionsleiters, der in diesem ewig kalten Neonlicht, irgendwo da unten in diesen stinkenden Schächten, mitten in diesem marternden Vibrieren der Pumpenmotoren und Förderschnecken, dem wütenden Schnauben der sich öffnenden und schliessenden Ventile; – ich sehe ihn mit einer kummervollen und einsamen Regung, eines wahrscheinlich schon x-fach Vergasten, bis auf ein letztes nervliche Elend zerquältes Mitglied dieser „unserer Belegschaft“, wie dieser Schreibende sich auszudrücken pflegt; – ich sehe, wie Besorgnis seine Stirne faltenreich in Teile schneidet…

wir-moechten-sie-doch-sehr-bitten

Variante Zwei und Drei in Klammer Teillösung

Angesichts der hohen Kosten und Aufwandes für eine vollständige Vernichtung des Ungeziefers wurde noch nach anderen Lösungen gesucht. Bei kurzen Lagerungszeiten der Hefe werden wegen der relativ langen Entwicklungszeit der Reiskäfer in unserem Betrieb keine besonderen Schwierigkeiten auftreten. Dies dürfte normalerweise für die Futterhefe zutreffen. Für die Nährhefe müssen strengere Massstäbe angesetzt werden, ausserdem sind hier die Lagerzeiten erheblich länger.

Die wollen mich weg haben hier, schnellstmöglich, nach Nestlé oder Brasilien; falls ich tatsächlich einer dieser Futterhefesäcke bin. Wenn ich das nur wüsste, aber ich kann da nicht runterschauen um zu sehen, was da auf dem Etikett geschrieben steht, nur dieses giftgrüne Teil für die Fruchtfliegen sticht mir da durch meine hefeverstaubten Sackbrillengläser in mein Sackinneres, wo der erste Wurm gerade daran geht etwas Netzwerkrelevantes anzuknabbern…
„Autsch! Scheissvieh!
Du könntest mir jetzt sagen was da drin ist, wen Du nur wolltest, aber Du hast so befürchte ich keine Spreche, nur eine Fresse und frisst Dich jetzt da in meine Denke, Du Aas!“
Ach Mist, der Wurm hat meinen Sehnerv erwischt, jetzt sehe ich alles doppelt zu zwei Dritteln überlappend, schwindlig wird mir und Übel. Dann noch dieses andauernde Jucken, Kribbeln und Krabbeln in meinen Verschlussfalten. Es ist wirklich nicht mehr auszuhalten!

attisholz- © vitaltransformer

Eine Lösung des Problems bietet sich durch die Verwendung von speziell gekennzeichneten ungezieferfreien Paletten und staubfreien Hefesäcken mit Plastiküberzügen an. Die vollbeladene Palette, in Klammern siebenhundertfünfzig Kilo, müssten ferner sofort in einem ungezieferfreien, elenden Dreckshaufen und geeigneten Lagerraum abtransportiert.

Um Bestellungen von Kunden in gemessener Zeit dem Wahnsinn der ganzen Epoche zuführen zu können, als eine Schau auf das Unabwendbare. Die Okade der Nährhefe vor der Ei-Gabe für den Auf, an die durch den Kapitalismus geschaffene Kaufkraftdiktatur, als eine wünschenswerte Basismasturbation. Ein Minimu von ünf und ranzig in Attisholz als Ich wert ist nach Ansicht des Schreibenden, der Beweis dass die Sprache lügt und ihrer Belegschaft keine Gefühlsinvestitionen mehr werden.

Der Satz eines Kontaktgiftes als Placebo gegen die Tarifentzündung, in Kombination mit der Bekämpfung der Sprache selbst, des Liebesle, des Ä, der Kunst und so weiter, kann wegen des äusserst fraglichen zu erwartenden nicht. Wierigkeiten im Inter infolge Schuss an Depressionskapitalanreizen. Schuss punkt. punkt.

Um mittels Reismehlkäfern den Nieder dieser Uhr voranzu, sollte eine totale Begasung des Planeten zur Nichtung der schleppten Biogen vorgesehen. In Klammern zu Achtzehn Arten pro Tag.

Käfer-Ohr im Getriebe Platt und Brot. Denkbeton zum Frühstück um Frühpenis zu vermeiden und so krankt das Schaf immer und immer mehr.

….und immer mehr und immer noch und noch mehr und immer und noch immer und mehr und mehr und immer noch, immer und noch immer,

noch mehr und….

(Der Vortragende schwankt, seine Lebenskraft schwindet)

und, und, und du?

du mu, mu,,du mur, murr, murrt,

(Der Vortragende fällt auf die Knie)

du Mutter, Mutter? die ka die ka, die Kassa, Kassandra, ah Kassandra***

aaaahhhhh….

(Der Vortragende geht ganz zu Boden, letzte Atemzügen, stockend, flüsternd)

Pedro hörst Du mich?

(lange Pause)

……Den Birnenschnaps.

*****

 

 

© Pierroz // Kettenreaktion @ ArtCampus 2016 // Attisholz

*** Die Verwendung dieser Ausdrücke wie „Kassandra“, „Pedro“, und „Birnenschnaps“, sind freundschaftliche Gesten an den Künstlerkollegen Pedro Meier und sein auf dem Areal in dieser Zeit realisierte Minotaurus-Projekt wo der Schreibende als sein Assistent fuhrwerkte.
– Der Begriff „Kaufkraftdiktatur“ stammt von einem langjährigen Freund, dem Schriftsteller R.Güntensperger.
– Das Wort „Gefühlsinvestition“ ist der Titel eines tschechischen Schlagers „Citová investice“ von Petr Hapka und Michal Horáček, den die Band „Cyrilov“ covert und mit dessen Leader Tomàš Visušil ich befreundet bin.
– Die Deformance im Finale dieser satirischen Textarbeit ist beeinflusst durch die in dieser Zeit gemachten Bekanntschaft mit der ungarischen Lyrikerin und Avantgardistin Kata, deren Arbeiten ich sehr schätze.
– Die Textteile, welche industrialtechnische Ausführen beschreiben, folgen grösstenteils dem originalen Wortlaut, eines auf dem Areal aufgefundenen Dokuments.

2 Kommentare

  • Reismehlwürmer aus der Sicht eines Hefesackes!

    … ja, Pedro hört dich…!

    Schön, schön – mein lieber VITALTRANSFORMER – Am Wort Basismasturbation gefällt mir vor allem der erste Teil: Basis – richtig – die Masturbation ist ja meines Wissens immer ortsgebunden bzw. parallel zum Hefesack mit den Reismehlwürmern…
    Das Foto am Anfang des Blogs ist signifikant für den momentanen Zustand auf dem ATY-WOOD Areal – BESETZT – und mit Spinnengewebe dekoriert… Doch wie VITALTRANSFORMER richtig schreibt – die Götterdämmerung lauert gleich um die Ecke im tiefsten Eichenwald… Demnächst wird der Birnenschnaps rationiert bzw. der Stock ist am Aussterben – macht nichts, wir werden die Chose mit Quitten-Schnaps ersetzen… – Ja, die Wandinschriften im Säurehaus – KASSANDRA und all die anderen schönen Wörter wie: Olymp – Minotaurus – Ariadnefaden – Chaos – Agamemnon – Zeus – Zyklopen – Sparta – Troja – Herkules – Paradox Six – Corinna – Heidi – Reto – Luterbach – Niederbipp und Oberbipp werden den morgigen Tag nicht erleben – denn, wie VITALTRANSFORMER sich sicher erinnern mag, wird das so genannte Säurehaus mitsamt dem dazugehörigen Olymp und dem Hades am 11.11.2016 11:11 Uhr GESPRENGT…
    Herzlich
    Pedro
    Jurasüdfuss
    Schnapsbrenner und Sprengmeister a.D.

    PS: Fotos zur Sprengung werden nachgeliefert…!

    Pedro Meier – Swiss-German Multimedia Artist

  • […] Ich hoffe ihr könnt mir für dieses eine und letzte mal verzeihen und mich in Zukunft nicht mehr engagieren. Sonst kommt es noch soweit: „Dass ich Euch bitten muss, die gleichen Fehler nicht zu wiederholen.“ […]

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