»Nie habe ich die Schule, die tief in mir steckt und mit ihr ihre Lehrer inbrünstiger gehasst und verflucht und meine ganze Vorschriftenerziehung als schwerere Last empfunden als damals im Osten unter vorurteilslosen Menschen, die unbewusst und ungehemmt so leben, wie es zuträglich ist und glücklich macht.
Furchtbar diese europäische Schule der Vorschreibung und übernommenen Ansicht, diese Pflichten und Ziele, die einem eingehämmert werden während einer langen Entwicklungszeit und den empfänglichen Europäer so grausam in Besitz nehmen und beherrschen, dass sie ihn zwar vielleicht zu geachteter Stellung, vielleicht sogar zu Geld und Ruhm, aber nie, nie zur Selbstzufriedenheit, Achtung vor sich selbst und zum Glück zu führen vermögen, weil der Weiche, der jenen Lehren wirklich Zugängliche durch sie zu nichts kommt, als seine eigene Unzulänglichkeit immer brennender zu empfinden.
Europa verlangt zu viel von seinem Menschen und gönnt ihm zu wenig. Das Recht und die Möglichkeit zu den billigsten Daseinsfreuden spricht es ihm ab.
In Asien hinten ist das anders…«
Hans Morgenthaler in »Matahari« 1921
Titel, Zitat Morgenthaler, Mathari: »Zu zweifeln habe ich in den stillen Welten des Ostens gelernt, wie eine Offenbarung ist der Gedanke in mir aufgedämmert, dass es eine Laune sei, Europa als Kernpunkt aufzufassen, all die Begriffe seiner jungen Kultur als Einziges, Bestes und Muster hinstellen zu wollen, und mich selber und meine weisse Pracht lernte ich unter Braunen anders betrachten.«
Als Geologe mit dem Auftrag nach Bodenschätzen zu fahnden, hatte es den Schweizer Hans Morgenthaler 1917 in den Dschungel von Siam verschlagen. Vom asiatischen Lebensgefühl beeindruckt, wird Morgenthaler mit sich selbst nicht einig: mal verflucht er seine europäische Prägung, dann wieder ist er dankbar für die ihm mitgegebene, Distanz schaffende reflektierende Denke. Dieses Spannungsfeld, das er dort betritt, was er dort durchlebt, geniesst und im Dschungel unter »Waldmenschen« erleidet, liest sich in seinem Bericht auch hundert Jahre später, als eine kulturkritische, nachdenklich stimmende Prosa. (D.T.K.)
Mit Hans Morgenthaler geraten wir in Gesellschaft von dessen Cousin, Walter Morgenthaler, Irrenarzt (Waldau), Art Brut-Sammler (Adolf Wölfli) / Ernst Morgenthaler, Kunstmaler / Hermann Hesse / Robert Walser etc.
Abbildungen: Federzeichnungen von H.Morgenthaler
2 Kommentare
Hallo D.T.K.
Vielen Dank für das siamesischen Sittenbild …
Hans Morgenthaler – mit 38 Jahren in Bern gestorben – publizierte auch unter dem Namen Hamo.
Hier Hamos letztes Gedicht:
Lieber Gott,
schlag mich tot.
Nimm von mir dies wüste Leben.
Dann werd ich Dir ein Müntschi geben.
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Wichtige Bücher nebst »Matahari. Stimmungsbilder aus den malayisch-siamesischen Tropen« – »Das Ende vom Lied« und »Totenjodel«, Gedichtsauswahl – Kandelaber Verlag, Egon Ammann.
Übrigens Hamo alias Hans Morgenthaler – hat 1920 aus Wut über den Massentourismus in den Schweizer Alpen seine gesamte Bergausrüstung in eine Gletscherspalte geworfen und nie mehr einen Berg bestiegen!
vielen Dank an »Der Tote Koller« – Vitaltransformer
Pedro Meier
Multimedia Artist
(…pendelt seit über 40 Jahren zwischen seinen Ateliers in Europa und seiner Dschungel-Malhütte am Golf von Siam, Thailand)
Ein Lesetipp von einem guten Freund: Hartmut Lange, Seidel und/oder Die Waldsteinsonate.