Yuval Noah Harari – 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

Desillusionierung: Am Anfang seiner »21 Lektionen für das 21. Jahrhundert« tischt uns Yuval Noah Harari doch eher düstere Einschätzungen des Vergangenen, der Gegenwart, wie auch einige ebenso düstere Aussichten für das Kommende auf.

»Möglicherweise werden populistische Revolten im 21.Jahrhundert nicht gegen eine Wirtschaftselite aufbegehren, welche die Menschen ausbeutet, sondern gegen eine solche, welche die Menschen schlicht nicht mehr braucht.«

Harari ist Historiker, und als solcher zähle ich ihn zu den modernen, den eher populistischen, weil er macht Dinge, die ernstzunehmende Historiker alten Schlags nicht machten: Er fasst seine Erkenntnisse zu Prognosen für die Zukunft zusammen, schlimmer noch, immer mehr kommen auch soziale und gesellschaftliche Themen dazu, die eigentlich gar nicht zum Fach eines Historikers gehören, und als ob das nicht reichte, driftet er gegen Ende seines Buchs auch noch philosophisch ab und mischt seine persönlichen Vorlieben für die buddhistische Lehre und Mediation, quasi als praktische Empfehlung zur Alltagsbewältigung, seinen Lektionen bei.

»Der Lehre des Buddha zufolge bestehen die drei zentralen Daseinsmerkmale darin, dass sich alles fortwährend verändert, dass nichts einen dauerhaften Wesenskern besitzt und dass nichts vollkommen zufriedenstellend ist.«

»Wir Menschen haben die Welt dank unserer Fähigkeit, fiktionale Geschichten zu schaffen und daran zu glauben, erobert. Wir sind deshalb besonders schlecht darin, den Unterschied zwischen Fiktion und Realität zu erkennen. Über diesen Unterschied hinwegzusehen war für uns eine Überlebensfrage. Wenn sie den Unterschied zwischen Fiktion und Realität gleichwohl erkennen wollen, sollten sie mit dem Leid beginnen. Denn die realste Sache der Welt ist Leid.«

Die Hauptthemen und Grundbegriffe, die Harares Schreibe kittet, ist seine grundsätzliche Kritik am vorherrschenden Liberalismus und zwar nicht nur in Bezug auf Wirtschaft, Politik, Technologie und Kultur, sondern auch in Bezug zu den Auswirkungen dieser liberalen Erzählmythen auf das Individuum.

»Der Liberalismus vollzog einen radikalen Schritt, als er alle kosmischen Dramen ablehnte, schuf dann aber das Drama neu innerhalb des Menschen – das Universum hat keine Handlung, deshalb ist es an uns Menschen, eine Handlung zu schaffen, und das ist unsere Berufung und der Sinn unseres Lebens. Jahrtausende vor unserem liberalen Zeittaler ging der antike Buddhismus einen Schritt weiter, als er nicht nur alle kosmischen Dramen, sondern auch das innere Drama menschlicher Schöpfung ablehnte. Das Universum hat keinen Sinn, und auch menschliche Gefühle tragen keine Bedeutung in sich. Sie sind nicht Teil einer grossen kosmischen Geschichte, sondern nur flüchtige Schwingungen, die aus keinem besonderen Grund auftauchen und wieder verschwinden. Das ist die Wahrheit. finden sie sich damit ab.«

Harari kritisiert die Erzählung-Kulturen als solches, die zwecks Realisierung von Nationen und Identitäten funktionalisiert werden. Harari, geht so weit, dass er auch die Identität jedes einzelnen als ein Mythos der gängigen liberalen Erzählung verwirft, und darlegt, dass die Existenz eines „ichs“ nicht mehr als die Substanz einer Fiktion beinhalte, und man gemäss aktueller Hirnforschung die Vorstellung eines „freien Willens“ auch gleich das Klo runterspülen könne.

»Wenn sie nach dem wahren Sinn des Lebens fragen und als Antwort eine Erzählung bekommen, denken sie daran, dass das die falsche Antwort ist. Die genauen Details spielen gar keine Rolle. Jede Geschichte ist falsch, einfach deshalb, weil es eine Geschichte ist. Das Universum funktioniert schlichtweg nicht wie eine Erzählung.«

Überleben nicht Leben, denn Harari stellt eine Situation in der die Menschheit seiner Ansicht nach befindet dar, die nicht gerade aufmunternd ist. Es macht den Eindruck, weder der Einzelne, noch Gemeinschaften, Nationen, Religionen, weder die Wirtschaft noch die derzeit propagierten Technologien könnten die aufgestauten Altlasten bereinigen, noch die aktuellen Probleme lösen können. 

»Das Problem ist: es ist extrem kompliziert geworden, zu begreifen, was wir tatsächlich tun.« … »Die grössten Verbrechen in der modernen Geschichte resultieren nicht nur aus Hass und Gier, sondern noch viel mehr aus Unwissenheit und Gleichgültigkeit.« 

Im Gegensatz zu jenen Zeiten als die Menschen noch in kleinen Gruppen durch die afrikanischen Savannen streiften, oder in Babylon oder in der Antike lebten, haben die Auswirkungen der Kultur der Menschen mittlerweile existenzbedrohende Ausmassen erreicht. Harari gibt in seinem Schlusswort der Menschheit noch ein paar Jahre oder Dekaden um die Dinge zu richten, ansonsten drohe Finsternis.

»Wenn wir uns anstrengen, können wir immer noch erforschen wer wir wirklich sind. Aber wenn wir diese Chancen nutzen wollen, sollten wir das jetzt tun«

Ich las Hararis Lektionen nicht als ein klassisches Buch eines Historikers, sondern mehr als das eines Menschen, der durch sein Mitgefühl angeregt, seine Sichtweisen und Einsichten mit uns teilen möchte. Was seine Prognosen, die Entwicklungen und möglichen Einflüsse durch Information – und Biotechnologien betrifft, finde ich Hararis Perspektiven ein wenig zu hysterisch, so auch jene zur Arbeitswelt, die durch künstliche Intelligenz und Robotik grossen Umwälzungen entgegensteuere.

Die Stärken Hararis 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert liegen meines Erachtens in den Hinweisen zu den grundlegenden Eigenschaften, den Stärken und Schwächen jedes Einzelnen, dass er den Schmus beim Namen nennt, den die Menschen in ihrer Erklärungsnot zusammengescharrt haben, und wie er aufzeigt, dass wie im Kleinen als auch im Grossen, dieselben Kräfte wirken. Dies wertschätze ich als grundlegend wichtige Impulse für ein möglichst klares Denken, dem, je nach Willensstärke, auch ein adäquates Agieren folgen kann.

Yuval Noah Harari – »21 Lektionen für das 21. Jahrhundert« – 459 Seiten – C.H.Beck – 2018

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