Morgen früh soll also alles zu Ende sein. Die ganze Wirklichkeit werde in Kartons verpackt und auf unbestimmte Zeit irgendwo zwischengelagert…
Dass man sich ja so etwas wie eine Persönlichkeit gar nicht zugestand. Das war den Adligen, den besseren Ständen vorbehalten, der Prolet im Industriezeitalter war einfach Teil einer Arbeitermasse, viel mehr nicht.
Künstlerische Freiheit bedeutet auch, zeitnahe, gesellschaftliche oder politische Ereignisse einfach zu ignorieren.
Unserem Patienten Pierroz fehlt es an Medikamenten und an Treibstoff.
Ich stehe auf und hoffe, dass von mir und meinem gestrigen Leben nichts übrig geblieben ist. Es wird langsam Zeit mir meinen Nachruf zu verdienen. Alte totschlagen im Park. Ein kurzes Aufflackern im Dunkeln. Dann haben sie ihren Gorbatschow verscharrt – weg damit. Sonst ist man ja froh um jede menschliche Regung, die man noch irgendwo hervorwürgt. Weder Sein noch Haben – wäre mal ein Versuch wert.
Dann sass ich lange bei diesem Mädel und wir sprachen miteinander. Und ich überlegte mir, ob sie und ich vielleicht Schnittmengen hätten. Und ich begriff, nein, wir hätten keine, wir würden keine haben auf die Dauer.
Schwimmen im nahen See. Den Blaualgen zum Trotz. Von denen sah ich keine Spur, keinen Algenfaden quasi. Es war so wie immer, so wie all die Sommer zuvor. Zwei Fischer lagen mit ihren Booten in der kleinen Bucht. Ich schwamm an ihnen vorbei den See hinauf, den jammernden Jungkormoranen, diesen ewigen Hungerleidern entgegen. Die Nester der Kormorane kleben hoch oben in den Astgabeln der Bäume am Seeufer. Die sind nach drei Jahren Kormoranbefall schon ziemlich ramponiert, bald tot schon, kaputtgeschissen von dem ätzenden Kot der Vögel. Egal, die Kormorane finden dann wieder woanders am Seeufer eine geeignete Baumgruppe, nisten dort, das marode Spiel wird sich wiederholen, wie seit tausenden Jahren schon, stelle ich mir vor, so wie auch Menschen hierher Schwimmen kommen, so wie ich.
Unser Kulturkreis hat den Menschen verharmlost, das Dasein als eine Vergnügungstour ausgelegt, was falsch war. Schneehasen auf Hawaii.
Sie beklagte noch Jahre nach ihrem Tod ihre zu klein geratenen Brüste.
Schweiz: Zürich fluten – Stausee zwecks Stromgewinnung & Energiesicherung. Staumauer hochziehen wo? Zürich selber als Unterwasserstadt neu konzipieren oder dann auch einfach aufgeben.
Insekten pilgern den Küchenfensterrahmen hoch, voller Sehnsucht, wie ich glaube. Sehnsucht nach Licht, nach Freiheit, nach unbegrenztem Flugraum. So frei und unbegrenzt hätt‘ ich’s auch gerne, doch eben ging mir das römische Reich unter.
Unser Patient Pierroz sei nach draussen in den Sanatoriumsgarten gegangen und versuche dort die Überalterung aufzufangen.
Allen Widrigkeiten zum Trotz – Ich würde gerne mehr Geld für Elektronik ausgeben – Angesichts der aktuellen Entwicklung – Demonstrieren für Fröhlichkeit – Es wird viel gelacht – Alles was man so tut, um nicht dabei ertappt zu werden, linkisch wie man nun mal ist, und dann doch aus der Reihe tanzt – Wir tanzen die Reihe – Alle ausser dir tun mir leid – Alle sind wir doch gleich unwichtig – Sparen beim Einkaufen – Die Stunde der Wahrheit – Einen grösseren Sprung erhoffen – Deswegen braucht keiner Angst zu haben – Die Sinnlichkeit des Ausnahmezustandes – Tausende verlieren ihr Erspartes – Unsere Sommerserie
Und alles reisst einen immer wieder in dieses Menschenleben zurück. Ohne Erbarmen, ohne Alternative. Es klebt einen an die Schicksale Anderer, umso heftiger, als man selber keines hat. Wie man sich auch wehrt, auszubrechen versucht, vergeblich, alles vergeblich, dem Menschen, dem Einzelnen, bleibt keine Freiheit, nur Menschsein unter seinesgleichen.
Unser Patient Pierroz fürchtet sich vor einer Ansteckung mit Waldbrand. Millionen von Schmetterlingen getötet. (Wir möchten dazu noch bemerken, dass unser Patient Pierroz eigentlich erst durch seine diversen psychischen Erkrankungen zu einer gewissen Persönlichkeitsstruktur gelangt ist.)
Wann werde ich meine Albträume verwirklichen?
Die Gegenwart eine Bühne auf der Figuren, vielleicht auch Menschen, auf und wieder abtreten. Der Vorhang fällt aber nie wirklich, der fällt nur partiell, wenn die Augen eines Zuschauers brechen; ihn ersetzen aber nahtlos andere.
Auf einmal brauchen wir Prothesen, um noch am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Mit was für einem zivilisatorischen Hochgefühl schiss ich heute früh in diese mit Trinkwasser gespiesene, weisse Porzellanschüssel. (In jeder Lebenssituation meinen mich befriedigenden maximalen Unfrieden finden.)
Seit neuestem spielt mir mein Gehirn veraltete Bildsequenzen zu. Aufgefallen ist mir das heute Morgen, als vor mir auf dem Küchentisch eine dampfende Tasse Kaffee erschien, obschon ich bereits seit über einem Jahr kein Kaffee mehr trinke.
Klicken Sie dann auf Deinstallieren. Da spritzte der Eisberg.
Die Eintragungen werden spärlicher, später fallen sie ganz weg. Als ob die Zeit ausgebremst, zum Stillstehen gebracht worden wäre. Draussen umringen Menschen ein Automobil und diskutieren. Otter würden ihre Babys in Algenblätter wickeln, bevor sie nach Seeigeln tauchten.
Text: Sommer 2022, Exzerpte aus dem Kunstsanatorium-Journal der Schweizer Kunstsamariter & Vitaltransformer // Photographie: Vitaltransformer
Service Public: Patient Pierroz bei Vitaltransformer
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