Endlich wird es publik: Das grosse Interview mit dem Skandalkünstler Kris Kind. Kris, der den Dr. Kristian Stuhl, Mitbegründer von Gott und bester Banker der Welt geschaffen hat, stand unserem Patienten Pierroz 2018 auf dem Art Campus Attisholz bei Solothurn Red und Antwort.
Pierroz: Wie lange gibt es den Dr. Kristian Stuhl denn nun schon?
Kris: Den Dr. Kristian Stuhl gibts jetzt seit zehn Jahren, seit 2008. Und der Dr. Kristian Stuhl hat dann 2009 das Kris Kind geboren. Also eigentlich ist der Dr. Kristian Stuhl die Mutter von Kris Kind. Genau ja, und mittlerweile ist Kris Kind der Sklave von Dr. Kristian Stuhl und muss machen was der ihm aufträgt, weil der Dr. Kristian Stuhl als Mitbegründer von Gott und bester Banker natürlich ein neoliberales Witschaftsgenie ist, und deshalb muss er den Künstler versklaven, den Kris Kind. Es liegt in der Natur der Dinge, dass die Menschen, sozusagen die Herrenrasse, und zu der zählt der Dr. Kristian Stuhl natürlich, die Minderwertigen versklavt – kurz zusammengefasst.
Pierroz: Kannst Du mir kurz die Legende des Dr. Kristian Stuhl erzählen?
Kris: Grundsätzlich ist der Dr. Kristian Stuhl der Kris Scheisse, so hat es angefangen. Weil was ich mit dem Kris Scheisse gemacht habe, waren einfach komplett banale Kinderzeichnungen, die teilweise sehr schlecht gemacht sind. Wirklich Fäkalkunst, Fäkalsprache als Ausdrucksmittel, darum Kris Scheisse. Dann war aber die Geschichte, dass ich dem Kris Scheisse einen Facebook-Account geben wollte, aber auf Facebook haben sie Scheisse abgelehnt, weil es ja Fulgär- Fäkalsprache ist. Deswegen Kristian Stuhl, und dadurch, dass ich den Kris Scheisse sozusagen vom Kinderstadium in die Pupertät geschickt habe, wars dann der Dr. Kristian Stuhl.
Das ist ein kleiner Ausschnitt der Legende. Für mich war wichtig, dass der Dr.Kristian Stuhl dadurch ja irgendwie keine Grenzen hat, und kein Anfang und kein Ende. Er muss eine komplette Kunstfigur sein, die wirklich übermächtig ist, und damit ist er auch Mitbegründer von Gott. Er ist allwissend und er karikiert sich dahingehend selbst, weil er vorgibt alles zu wissen, aber in Wirklichkeit weiss er nix. Es ist eine Karikatur über sich selbst, eigentlich: Dr. Kristian Stuhl als Mitbegründer von Gott und bester Banker der Welt. Ein Allroundgenie, er kann einfach alles, er hat zu jedem Thema eine Meinung und spricht natürlich nur die Wahrheit, alles was er sagt ist die absolute Wahrheit, er hat den totalen Wahrheitsanspruch.
Pierroz: Wie bist Du auf diese Idee gekommen, was war der Anstoss für diese Charaktere?
Kris: Die erste Idee des Kris Scheisse war eigentlich die, dass ich die Malerei auf ein Minimum herunterbrechen wollte, auf so eine Einfachheit, dass es einfacher einfach nicht mehr geht. Du kannst Zeichnungen machen, aber Strichmännchen mit Kopf, 2 Striche für Arme, zwei Striche für Beine, das kannst du nicht noch minimaler ausdrücken, zwei Punkte für die Augen und ein Mund, das ist für mich die radikale Kürzung von Malerei.
Das war eigentlich der Grundgedanke des Kris Scheisse, dass ich die Malerei auf so ein Minimum herunterreduziere, und nur die Message transportieren will. Nur die Message, auf eine radikale Minimalisierung heruntergebrochen, das war eigentlich der Anfang der Figur. Und aus dem ist dann halt das restliche entstanden. Von dem ist es dann weiter gegangen… – der Kris Kind ist gerade das Gegenteil von Kris Scheisse, weil der Kris Kind macht ja sehr aufwändige Sachen, und teilweise sehr komplexe Geschichten, die auf vielen Schichten und Ebenen verstanden werden können.
Pierroz: Verstehst Du Dich als Satiriker?
Kris: Ja auch. Also ich habe dafür ja diese verschiedenen Kunstfiguren, wie den Dr. Kristian Stuhl oder den Kris Kind. Und der Dr. Kristian Stuhl ist schon ein Satiriker, aber grundsätzlich einer, der alles darf, der keinen Rahmen bekommt, sondern der macht Satire, der macht aber auch Satire die keine ist, der darf eigentlich alles. Von dem her verstehe ich mich schon als Satiriker, aber grundsätzlich mache ich Konzeptkunst.
Pierroz: Dieses Porno-Pony mit dem Kondom, dieses »Two Horny Barbie«, das ist Kris Kind?
Kris: Das ist Kris Kind ja, aber Dr. Kristian Stuhl macht mittlerweile auch Skulpturen, macht angewandte Kunst wie Lichtskulpturen, Stühle, eben Dinge, die man anwenden kann. Von dem her wirds eine Vermischung geben, aber trotzdem kann man sie trennen, weil der Dr. Kristian Stuhl immer sehr einfach daher kommt, minimal, mit einem minimalistischen Ansatz, der aber in seiner Message aber doch sehr komplex sein kann. Man muss sich zum Teil mit diesen minimalistischen Sachen schon ein wenig auseinandersetzen, damit man den Grund versteht, weil so banal einfach, wie das schwarz weiss zum Beispiel, mit dem dünnen und dem fetten Strichmännchen, das ist banal und einfach, und trotzdem ist es ein komplexes Thema soweit reduziert, dass es für mich persönlich nicht mehr weiter reduzierbar ist – der Endpunkt der Reduktion.
Pierroz: Hast Du die Figur geschaffen, diese Charaktere hinzugenommen, die ja auch schreiben, die kommentieren kann, damit du die Werke mit Text versehen, mit ihnen kommunizieren kannst?
Kris: Genau, das ich mit ihnen kommunizieren kann.
Pierroz: Weil der spricht ja sehr klar und nüchtern, der ist nicht gaga.
Kris: Ja, wenn er auf gaga macht, dann ist es wirklich bewusst, es ist wirklich ein Konzept dahinter, es entsteht nichts aus einer Laune heraus, sondern jeder Text der entworfen wird, wird wirklich entworfen, wird Korrektur gelesen, Korrektur gelesen. Wo es passt, werden teilweise Rechtschreibefehler eingebaut, weil es zur Figur gehört, teilweise werden Sachen ausgelassen. Aber es geht schon auch darum, dass die Kunstwerke, die Figuren miteinander kommunizieren, und dass zum Beispiel der Dr. Kristian Stuhl auch mit dem Kris Kind kommuniziert.
Pierroz: Aus welchem Grund ist der Kris Kind entstanden? Bist Du mit dem Dr. Kristian Stuhl an eine Grenze geraten oder ist er Dir langweilig geworden?
Kris: Die Grenze war die: der Dr. Kristian Stuhl muss minimalistisch sein, oder der Kris Scheisse muss minimalistisch sein; vom Zeichnerischen und Malerischen her, mit den Strichmännchen, da geht nicht mehr. Ich kann mit dem nicht mehr machen, von der Zeichnung her, sonst kann ich mit ihm natürlich alles machen. Da habe ich den Kris Kind gebraucht, weil der einfach wirklich abstrakte, komplizertere Dinge macht.
Pierroz: Konntest Du Dich nicht austoben nur mit dem Dr.Kristian Stuhl, du hattest noch andere Ideen, und du weisst, wenn ich die realisiere, die gehören nicht zu Dr. Kristian Stuhl, und dann hast Du ein Söhnchen in die Welt gestellt – ist er eigentlich männlich der Kris Kind?
Kris: Eigentlich ist er weiblich, eigentlich ist er weder männlich noch weiblich, weil er nicht materialisiert ist, ausser wenn er sich materialisieren muss. Zum Beispiel, wenn er in einer Ausstellung vorkommt, als Person, also als Mensch geworden, dann ist er weiblich.
Pierroz: Und wer hat denn nun eigentlich die Installation »Wertpapiermensch« geschaffen?
Kris: Ja das ist eigentlich das Atelier Kris Kind – ja, es wird immer komplizierter, ein bisserl Schizophren: gearbeitet hat der Kris Kind, der Sklave war der Kris Kind, der Auftraggeber war der Dr. Krisitan Stuhl, die Arbeiten waren von Dr. Stuhl, aber es ist signiert mit www.kriskind.info, das ist sozusagen das Atelier Kris Kind, die Domäne. Es ist nicht signiert mit Kriskind, und auch nicht mit Dr. Kristian Stuhl, sondern nur mit www.kriskind.info, mit der Internetpräsenz.
Pierroz: Die Webseite ist out?
Kris: Die Website ist momentan nicht verfügbar, weil sie mir leider draufgekommen sind, dass es ein Fake Account war, mit einer Fake Adresse und so weiter. Und jetzt ist bei uns das Mediengesetz, das Telekommunikationsgesetz soweit, dass sie die Seite vom Netz nehmen müssen, weil es illegal ist. Und jetzt muss ich mir was Neues einfallen lassen. Ja, das hat jetzt lang funktioniert, das hat zehn Jahre lang funktioniert, aber es ist jemand draufgekommen, weil die Postanschrift war die Börsengasse Nummer 1 in Wien, wo die Börse steht eigentlich, und dann sind sie eben skeptisch geworden, und ich bin dort natürlich nicht erreichbar, und da haben sie mir den Account suspendiert – vorausssichtlich. Da muss ich schauen, wie ich das mache. Aber das gehört auch dazu, ist alles im Konzept drinnen, dass ich die Webseite mit dem Dr. Kristian Stuhl angemeldet habe über die Börsengasse: natürlich ist das nicht legal, aber ich denke mir, die Kunst sollte nicht immer im legalen Rahmen passieren, sondern muss sich herauslehnen, muss über die Grenzen drüber gehen.
Pierroz: Warum musst Du das?
Kris: Ich kann nicht anders – bei mir ist es wirklich, ich muss das so tun, wie ich es in mir spür, wie ich glaube, es richtig ist für mich.
Pierroz: Gegen was kämpfst Du denn an mit dieser Artform?
Kris: Ich kämpfe wahrscheinlich gegen den Gehorsamwillen, gegen dieses Gehorsamsein, gegen diese obrikgkeitshörigen Menschen, die eigentlich immer Vorschriften einhalten und nirgends anecken wollen. Für mich sind diese Kunstfiguren Konterparts der Gehorsamkeit gegenüber Obrigkeiten, oder gegenüber Gesetzgebungen, die ja teilweise kompletter Schwachsinn sind. Es hat nicht jedes Gesetz einen Sinn, und wenns Gesetz ist, muss man es einhalten. Und für mich ist das auch irgendwie ein anarchistischer Gedanke.
Pierroz: Das ist Dir noch wichtig – die Anarchie?
Kris: Ja ich finde das total wichtig. Die Anarchie wird ja immer negativ dargestellt in unserer Gesellschaft und das die alles Idioten sind, die Anarchisten sind. Aber wenn man die Geschichte der Anarchie anschaut, wie die entstanden ist, aus welcher Motivation heraus, diese Verweigerung gegenüber Obrigkeiten, gegenüber Herrenrassen, hat die Anarchie für mich als Künstler natürlich eine absolute Berechtigung.
Pierroz: Hast Du das Gefühl, dass wenn man jetzt mehr Anarchie tolerieren würde, mehr anarchistische Experimente gestatten würde, das es der Gesellschaft etwas bringen würde?
Kris: Das ist die Frage, weil ich glaube, dass Anarchie grundsätzlich nicht funktioniert, weil der Mensch… Also wenn jetzt wirklich Anarchie herrschen würde auf der ganzen Welt, wären wir in einer kompletten Chaosgesellschaft, wo einfach jeder alles macht, weil der Mensch von seinem Mind her noch nicht soweit ist, dass er wirklich… Er ist nicht nur nicht sich selbst bewusst, sondern er ist sich bestimmt nicht des anderen bewusst und ich finde, wenn ich Anarchie wirklich leben will, dann muss ich mir selber bewusst sein und dem anderen natürlich auch, das Bewusstsein muss viel grösser sein, dass ich auch weiss, wo der andere ist.
Also Empathiefähigkeit – ich bin mir selbst bewusst, ich muss wissen wer ich bin und wissen wer du bist und dann wäre das vielleicht ein interessantes Experiment, aber nur so. Aber die Menschen sind sich ja nicht selbstbewusst, müssen gelebt werden oder sie wollen gelebt werden, sie wollen vorgelebt bekommen, was sie zu tun und zu lassen haben, und haben eigentlich keine eigene Meinung. Der Grossteil der Gesellschaft leben den Ariel-Werdetraum der ihnen vorgesetzt wird über die Medien, und haben eigentlich keinen eigenständigen Lebensentwurf. Das ist jetzt meine Meinung – von dem her geht Anarchie sowieso nicht.
Aber wenn man die Gesellschaft als Ganzes nimmt, find ich es schon wichtig, dass es ein paar Prozent gibt, die sich wirklich rauslehnen und diesen anarchistischen Gedanken ausleben, um ein bisserl die Gesellschaft zu träumen, ein bisschen durcheinander zu bringen. Und vielleicht auch ein bisserl zum Nachdenken zu bringen, weil für mich ist ja die Kunst immer auch polarisierend. Durch dieses Schwarzweiss-Denken, das sehr bewusst einsetzt, kann man die Gesellschaft oder die Leute, die sich damit beschäftigen, in einen Dialog zwingen – zwingen, oder wenn sie dafür bereit sind, in einen Dialog bringen, und dann reden sie übereinander, und dann entsteht Diskurs.
Pierroz: Gelingt dir das mit deinen Aktionen, wo du ja den Tabu-Bereich kratzt, dass die Leute miteinander und überhaupt über Dinge einen Diskurs beginnen?
Kris: Ja, bei Ausstellungen sehe ich das schon, dass die Leute vor den Bildern stehen und dann darüber diskutieren. Die einen findend’s gut, die andern finden’s schlecht, das Einzige was nie passiert ist, ist eine neutrale Haltung. Das habe ich noch nie erlebt, dass jemand vor meinen Bildern steht und gar nix empfindet: entweder es ist Abneigung oder es ist Zustimmung, oder es ist Verunsicherung, es ist Unverständnis, aber es ist auf jeden Fall keine neutrale Haltung, sondern es passiert irgendwas, und teilweise passiert es auch, dass die Menschen aus ihrer Routine rausgeschmissen werden.
Ich habe das erlebt wo wir bei uns im ersten Bezirk, bei uns sagt man „gespritzt“, also da sind die ganzen Reichen und die ganzen Businessmenschen unterwegs, und wir haben die »Fetisch-Geburt« geliefert an einen Galeristen. Die »Fetisch-Geburt« ist eine aufblasbare Sexpuppe auf ein Holzkreuz gebandidscht, und dann liefern wir die so, und dann kommt uns ein Businesspärchen im Park entgegen, sie und er reden total intensiv miteinander, dann schauen sie auf, sehen diese Puppe -und es war weg- sie waren komplett aus der Spur, sie haben nicht mehr gewusst, worüber sie gerade gesprochen haben, es war weg. Und das ist es dann für mich, die Menschen aus ihrer Spur rauszuwerfen, kurzzeitig, um sie wieder ein bisserl zu kalibrieren; sie aus der Spur bringen, damit sie vielleicht kurz irritiert sind oder orientierungslos, und kurz darüber nachdenken, was da grad passiert.
Pierroz: Und ist das noch möglich – also weiss du, diese Tabubereiche sind ja doch schon stark ausgereizt, es ist ein schwieriges Feld, da noch Reibungsfläche zu gestalten…
Kris: Es stimmt schon, dass irgendwie alle, oder die meisten Tabus schon gebrochen worden sind. Gerade bei uns hat es einen Wiener-Aktionismus gegeben in Österreich, das war in den 70zigern eine sehr starke Strömung, wo auch viele Tabus gebrochen worden sind. Aber mir kommt vor, wir sind jetzt grade wieder in einer Strömung, wo’s gerade wieder komplett zurück geht in diese Biedermeier, moderne Biedermeierzeit, wo wirklich wieder alles komplett Sekuritär wird, wo Enge, wo alle Tabus wieder aufgerichtet werden, wo Traditionen wieder in den Vordergrund kommen. Und ich finde, da kann man mit Tabus wieder stärker agieren als vor zehn Jahren.
Pierroz: Ist das wirklich in Wien auch so: ich erlebe hier in der Schweiz eine neue Biederkeit, die auferstehen hier wieder, die Bünzlis, die Füdlibürger…
Kris: Ja, bei uns sind es die Spiessbürger, die Kleinkarierten. Und das Schlimme ist, es sind teilweise junge Menschen, gut ausgebildet, eigentlich würde man sie zur intellektuellen Szene zählen müssen, weil sie sind Akademiker teilweise, sie haben akademische Abschlüsse, sie sind Gutverdiener und sind so bürgerlich und so spiessig und so brav kleinkariert, so angepasst, so gefällig, dass es mir eigentlich schon Angst macht. Und sie sind zwischen 30 und 40, also das ist die Generation, die jetzt die Hebel der Macht übernehmen, und da denke ich mir schon: Wahnsinn, die sind fast spiessiger als unsere Eltern, das ist heftig.
Pierroz: Hast Du eine Ahnung weshalb das so ist? Ist es möglich, dass es eine Angstreaktion ist, eine Reaktion auf eine Überforderung mit den Dingen, die auf sie hereinstürzen?
Kris: Definitiv, das glaube ich schon, eine Überforderung, eine Angstreaktion auch. Dieses, „man muss perfekt sein, man muss alles richtig machen“. Es fängt bei der Kindheitserziehung an, weil man muss als Elternteil ja mittlerweile… – das Kind ist Projekt, es muss gelingen, es muss alles perfekt sein, und es ist vielleicht eine Angstreaktion auf diese Karriere, und man darf ja nicht das Falsche sagen, und man muss funktionieren, und man soll sich anpassen, muss das machen, was einem gesagt wird, weil wenn man vielleicht gegen Strom schwimmt, hat man vielleicht keine Karrierechancen. Vielleicht ist es das, die Angst vor der Zukunft eigentlich, und natürlich durch die Medien, durch die Medienlandschaft mitgeprägt. Wenn man sich die Werbungen anschaut, die im Fernseher laufen, wie sozusagen die Welt auszusehen hat, dann weiss ich eh alles.
Wenn man sich die Werbungen anschaut wie sie funktionieren, oder die Medien grundsätzlich, dann ist es ganz sicher Mitgrund, also die Medien haben hier sicher viel damit zu tun, glaube ich. Und eben, die Angst vor der Zukunft oder die Angstmacherei. Und natürlich auch die Entmündigung und auch die freiwillige Entmündigung. Ich brauche ja für alles ein Ratgeber mittlerweile: Den Lebensratgeber, den Erziehungsratgeber, dann gibts die Apps, was ich für Musik zu hören habe, was ich für Bücher lesen soll. Es gibt sowas wie Zalando nur für Männer, die dir den Outfit, die dir das perfekte Paket was du anzuziehen hast dir zuschicken. Und du brauchst dir nicht mehr überlegen, was du anziehen sollst, sondern die sagen dir, was zu dir passt. Und das sind alles Dinge, die den Menschen so langsam entmündigen, und er will das freiwillig, er macht das freiwillig, mit seinen digitalen Assistenten.
Pierroz: Wie würdest du die Phase, in der die Gesellschaft sich jetzt befindet, wie würdest die du beschreiben?
Kris: Jetzt muss ich’s natürlich ein bisserl schlimmer beschreiben als es vielleicht sein wird, aber ich bin ja natürlich jemand der immer eins drauflegt: Ich glaub schon, dass wir uns in ein totalitäres Gesellschaftsbild verwandeln, aber nicht zu vergleichen mit den Nazis totalitär, sondern mit einer gewissen Selbstzensur, totalitär, und man sieht es ja überall dieses politisch korrekte Verhalten, ist so indoktriniert, dass man sich selbst unter Zensur stellt. Und den Rest machen gewisse Institutionen, so wie in Deutschland, da wird ein Gedicht, keine Ahnung, das ist 200 Jahre alt, das vor einer Schule gestanden ist, wird übermalt, weil’s anscheinend sexistisch ist. Es wird durch die Selbstzensur, durch dieses politisch Korrekte werden wir selber immer mehr in eine totalitäre Gesellschaft verwandelt, mit den Medien, die das verstärken. Aber das ist jetzt nur eine finstere Dystopie von mir, es kann natürlich immer wieder Gegenströmungen geben, ja, schauen wir mal was kommt.
Pierroz: Aber was bedeutet denn das Totalitäre für den Einzelnen, für das einzelne Schicksal?
Kris: Ich glaube das Minderheitenrechte immer weniger berücksichtigt werden, und das dieses Gleichgeschaltene, dieses, jeder wird rechteckig gemacht, auch wenn er ein Kreis ist. Und wenn die Mehrheit rechteckig ist und die Minderheit Kreise sind, dann wird man versuchen sie zu Rechtecken zu machen, und wenn es nicht funktioniert, werden sie ausgeschlossen. Das merkt man in der Politik, die Minderheitenrechte. Es gibt zwar in Österreich viele die sagen, wir wollen die direkte Demokratie, vor allem die FPÖ will das, aber die direkte Demokratie heisst, wenn ich das Volk immer frage, dann werden natürlich keine Minderheiten mehr geschützt, weil vielleicht die Mehrheit über eine Minderheit bestimmt und das sind für mich Probleme, da wirds dann kritisch, weil das ist dann für mich auch totalitär, aber es ist eine andere Richtung wie früher, anders als vor 80 Jahren…
Pierroz: Wenn du der hiesigen Gesellschaft, in dem Zustand in der sie sich befindet Tipps geben könntest, was würdest du für Empfehlungen abgeben?
Kris: Grundsätzlich zivilen Ungehorsam, das ist ein Tipp den gebe ich immer: Ziviler Ungehorsam. Sich selbst zuerst eine Meinung bilden, bevor man eine Meinung von einem anderen annimmt, oder einfach einmal reflektieren und sich umschauen, welche Positionen es gibt, und nicht gleich alles so übernehmen, wie es die Mehrheit sagt, oder wie ich es in einer Zeitung gelesen habe. Aber ich glaube der zivile Ungehorsam ist das Eigentliche. Nicht einfach alles so hinnehmen wie es ist, sondern wirklich mündig werden und reflektieren, ja das wäre mal so grundsätzlich.
Pierroz: Und wenn Du jetzt ein Unternehmen hättest, produzierst irgend was, machst ne Dienstleistung, müsstest Kohle reinbringen, deine Leute zahlen: geht das überhaupt, oder sollte man das eh sein lassen?
Kris: Ja, ich meine das ist das Schwierige mit der Wirtschaft und mit Geldsystemen: solange es noch das Zinseszins-System gibt, musst du das Geldsystem, so wie es jetzt existiert, in die Luft sprengen. Weil es einfach nur dem Kapitalgeber Vorteile bringt und dem Kapitalnehmer eigentlich die Lebenszeit raubt. Der Kapitalgeber hat einfach den Vorteil, dass er für sich Hamsterräder arbeiten lassen kann und der Kapitalnehmer hat leider kein anderes Kapital als seine Arbeitskraft oder seinen kreativen Input, seine Ideen, oder sein Geist, aber eigentlich müsst‘ man es anders organisieren.
Mit Kooperativen, mit einem neuen Wirtschaftssystem, vielleicht funktionierts über die Kryptoökonomie über die Blockchain, ich weiss es nicht, vielleicht ist das eine neue Möglichkeit, um Wirtschaft demokratischer zu gestalten oder um das Geldsystem demokratisch zu gestalten und dieses Geldsystem von diesem Zinseszins-Wahnsinn wegzubringen, weil wir wissen, das funktioniert nicht, also das funktioniert natürlich schon, einfach nur für eine kleine Elite, die Mehrheit ist Verlierer.
Die Mehrheit verkauft ihre Lebenszeit für Kapital, für Geld, für Nahrung und teilweise auch dreissig Jahre schon im voraus, wenn ein Haus baust, wenn Kredite hast und so weiter, dann ist die Lebenszeit schon auf dreissig Jahre im voraus verkauft eigentlich. Und der Vorteil hat der Kapitalgeber: ist doch cool, oder, da kann ich mir Hamsterräder kaufen. Deswegen besser Hamsterräder zu besitzen, als selber in einem sitzen. Aber die Mehrheit hat leider keine Hamsterräder, sondern sitzt in einem Hamsterrad.
Pierroz: Du hast vorhin von Reflektieren gesprochen, du hast auch erzählt, du machst jetzt diese Figuren Doktor Kristian Stuhl, Kris Kind und das Atelier Kris Kind seit zehn Jahren. Hat dir das beim eigenen Reflektieren geholfen, wie hat es Deine persönliche Entwicklung beeinflusst?
Kris: Es hat meine persönliche Entwicklung extrem beeinflusst, weil durch die Entdeckung der Kunst, wo ich wirklich damit angefangen habe mich mit Kunst zu beschäftigen, oder auch mit Gesellschaften, mit Menschen, das gehört ja alles zusammen, hat sich meine Sicht auf die Dinge schon radikal geändert. Wenn man sich mit Kunst beschäftigt oder man Künstler ist, man schaut sehr genau hin, wie Menschen miteinander umgehen, wie man selber ist. Es ist eigentlich ein Seelenstriptease vor anderen und vor sich selbst, so kommt es mir vor. Es hat mich schon extrem verändert. Im Positiven wie Negativen, glaub ich. Manchmal bin ich ein bisschen genervt darüber, dass ich das alles bin, was ich gar nicht sein will. Also das genaue Hinsehen macht nicht immer Spass.
Pierroz: Hat es dein Leben vielleicht anstrengender gestaltet, aber auch anregender?
Kris: Absolut ja, würde ich schon sagen. Anregender, anders, anstrengend: es wird immer wieder in Zweifel gezogen, aber für mich ist es das richtige Leben und das einzige, das für mich wirklich Bestand hat, weil alles andere hätte überhaupt für mich gar keinen Sinn. Ich könnte es mir nicht vorstellen irgendwo einen „Eight to Five Job“ für irgend eine Firma zu machen, wo irgendwas hergestellt wird, oder irgendwas, was überhaupt komplett konstruiert ist von irgendeiner riesengrossen Wirtschaftsmaschinerie.
Von dem her ist für mich die Kunst oder dieses Schöpferische, dieses Freischaffende, das Einzige was wirklich Sinn macht. Weil ich wirklich Grenzen permanent übertreten kann, das kann man im normalen Leben nicht machen. Wenn du einen normalen Job hast, kannst du keine Grenzen übertreten, also nur geringfügig, weil sonst wird dir gekündigt, oder du kriegst den Job schon gar nicht. Als Künstler kannst du dich wirklich weit aus dem Fenster lehnen und als moderner Hofnarr ist das super, weil es gibt wenig Grenzen in der Kunst, also eigentlich gar keine, für mich persönlich. Und das gibts für mich nur in der Kunst, jede andere Tätigkeit hat Grenzen, nur in der Kunst, ob das jetzt Schriftstellerei, Musik, ist egal; jede Kunstrichtung ist grenzenlos.
Pierroz: Aber du wirst zum Aussenseiter – innerhalb des Künstlerzirkels bist du auch eher ein Aussenseiter, oder täusche ich mich?
Kris: Ich würde mich selber als Avantgarde bezeichnen, als Aussenseiter ja, aber jemand der in einer Sache vorausgeht. Aber schon Aussenseiter, ganz sicher ja. Die Themen mit denen ich mich beschäftige, sind ja komplet negativ besetzt, sind anti.
Pierroz: Du stürzt dich ja geradezu auf diese Themen…
Kris: Ja, ich kann gar nicht anders, ich muss da hinschauen, in die Abgründe schauen, wo’s weh tut; das geht nicht anders. Ich mit meiner Freundin, wir haben überlegt, was wir lieber wären: eine Rosamunde Pilcher, die hat ein super Leben, wahrscheinlich viel Kohle, lebt irgendwo in Irland, oder eben bei uns Thomas Bernhard, ich weiss nicht ob du den kennst. Und der Thomas Bernhard hat überall angeeckt, war ein kompletter Gesellschaftskritiker.
Und wir haben beide gesagt, wir könnten gar nicht Rosamunde Pilcher sein, weils nicht geht, weil dann wärs nicht echt, nicht authentisch; man muss den Weg gehen, der einem im Blut liegt. Und wenns nicht so wäre, würde ich wahrscheinlich ganz schöne Sachen machen – ich denke mir oft, warum muss ich mich mit dem ganzen Schwachsinn beschäftigen, mit den Abgründen der Menschen, mit den eigenen Abgründen, warum? Das ist doch nicht gesund, aber ich kann nicht anders.
Pierroz: Ist es wirklich ungesund? Was ist ungesünder? daran vorbeizuschliddern oder sich damit auseinanderzusetzen? Hesse hat gesagt es gäbe nur einen Weg: rein in den Schmutz.
Kris: „Wahrlich keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt“; das ist ein Ausschnitt von einem Gedicht von Hesse. Aber ich denke eine gute Mischung wäre nicht schlecht. Man soll nicht überall hinschauen, man soll auch das Schöne im Leben geniessen. Deshalb muss ich mich immer wieder herausnehmen, da muss ich mich echt auf einen Berg raufsetzen, oder ins Grüne rausfahren, oder einfach geniessen. Weil ich bin eigentlich auch ein Mensch des Genusses, aber wenns mich dann so reinsaugt in den Abgrund, weil der ist ja faszinierend, es ist ja spannend, diese Abründe sind ja spannend. Ich würde eine gute Mischung bevorzugen, aber man sucht es sich nicht aus, ich kanns mir nicht aussuchen, als Künstler, die Mischung; es passiert, was passiert.
Hesse Gedicht – „Im Nebel“ bei Lyrik-Line
„Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.“
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