Bringt Ansichten und Wertesysteme ins Wanken: Das aktuelle Buch von Hansueli Homberger „Die Sicherung“. Es geht um Chaos nach Stromausfällen, Roboterprobleme, Programmänderungen und ein mit Grundsatzfragen ringendes Management. Das Werk „Die Sicherung“ sei laut Autor nicht simpel; – wir haben ihm einige Fragen gestellt…
Frage: Verfolgst Du die Entwicklung und die Diskussion um die Killer – Roboter Thematik, es fand diesbezüglich in Genf bei der Uno eine Sitzung statt.
H. Homberger: Selbstverständlich verfolge ich die Kampfroboter-Debatte, allerdings nicht mit der Lupe. Es gibt ja im Text einen klitzekleinen Link darauf, dort wo Nicole auf eine Gruppe hochdekorierter Wissenschaftler verweist, die dagegen rebelliert, dass Töten als Maschinenentscheid zulässig wird, respektive zulässig bleibt. Dieser Widerstand ist ja reell und besteht schon eine ganze Weile. Die UNO-Konferenz zu dem Thema in Genf habe ich am Rande mitgeschnitten und bedauere natürlich, dass offenbar ein Verbot, wie es die besagten Rebellen fordern, noch nirgendwo in Sicht ist. Ich möchte aber schon hervorheben, dass Die Sicherung nicht auf die Frage Kampfroboter Ja oder Nein reduziert werden sollte. Das würde zu viele wichtige Fragen ausblenden. Zum Beispiel wie wir als Menschheit Menschlichkeit definieren wollen, wie wir mit Mit-Lebewesen auf unserem Planeten und überhaupt mit unserer Zukunft umspringen wollen und so weiter.
Frage: Was ist Dein Eindruck, lässt sich das eingrenzen oder beweisen sich unsere Politiker einmal mehr als unfähig, eine auch nur ansatzweise humane Kultur zu befördern…
H. Homberger: Da stellt Du eine Glaubensfrage… Persönlich glaube ich, dass die humane Kultur, die Du ansprichst, bereits real existiert. Und zwar nicht als Nischenprodukt irgendwo im Verborgenen, sondern als weitreichender Konsens rund um den Planeten und überdies als Lebenspraxis einer überwältigenden Mehrheit der Erdenbewohnerinnen und -bewohner. Das Problem sind der Interpretationsspielraum und die Kollateralschäden. Was meinst Du persönlich mit humane Kultur? Wie gross ist der ökologische Fussabdruck den Du dir persönlich erlaubst? Was unternimmst Du persönlich gegen die zunehmende soziale Ungleichheit? Ich bin nicht sicher, ob „Die Politiker“ das geeignete Feindbild sind, das einer humanen Kultur im Weg stehen könnte. Die Politiker sind wir, Du und ich… Raffgier und Verschwendungssucht könnten aus meiner Sicht schon eher als Kernprobleme identifiziert werden, wobei auch da natürlich erstens die Liste noch ergänzt werden müsste und zweitens auch wieder festzulegen wäre, wo die Grenzwerte sind – wann die Sicherung ansprechen sollte,,,
Frage: Du schreibst Zitat: „wann die Sicherung ansprechen sollte,,,“ – aber haben wir denn überhaupt eine Sicherung installiert welche die Schwächsten vor Grausamkeiten schützt? Ist nicht gerade im aktuellen Giftgasmassaker von Syrien der Uno-Rat durch die wiederholte Blockade von Russland zu einer „Entschuldigungs-Instanz“ degradiert worden? Wie und auf was für einem Urgrund sollte denn eine solche Sicherung nach Deiner Meinung wachsen? Sollte man die Humanität anstatt einer Glaubensfrage nicht eher als eine Kultur der Vernunft aufzubauen versuchen?
Frage: Liege ich eigentlich richtig mit meiner Lesart Deiner Groteske „Die Sicherung“, dass die Protagonisten sich darin anfangs als Täter wähnen, um später als Opfer der eigenen Tat zu erwachen? – was wird geopfert und zu welchem Preis? Müssten wir nicht auch gerade diese Opfer -Täterdualität zu durchbrechen versuchen, um einen Gemeinwohl-Charakter herauszubilden?
H. Homberger: Mit der Vernunft bringst Du ein fettes Schlagwort in die Diskussion. Bist Du dir sicher, dass es weiterhilft? Es ist ja schon eine Weile her, da hat jemand viel rede- und schreibgewandter als ich die Kritik der reinen Vernunft verfasst… In meinem Text kommt Vernunft nur als Randnotiz vor. Ich verwende an Stelle von „Sicherung“ Metaphern wie Menschlichkeit, Fairness, Gerechtigkeit und sogar Lebenslust – Begriffe also, die natürlich genauso Worthülsen sind wie Vernunft. Das Problematische an diesen Begriffen ist ja der Ermessensspielraum. Dazu bin ich in der Schlussfassung meines Buches sogar noch einen Hauch expliziter geworden…
Humanität kommt wohl nie ohne Regeln aus, auch wenn Dich dieser Befund vielleicht betrübt. Der Regelsatz, den ich implizit in meinem Text verwende ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und all das Zugemüse darum herum. Löst das Probleme? wirst Du mir entgegen schmettern, und ich werde kleinlaut zugeben müssen… Nein… Denn was sind Regeln ohne griffige Sanktionsmöglichkeiten? Papier, im besten Fall, wie Die Sicherung auch… Dass in Syrien Giftgas-Massaker verübt wurden, ist aber in meiner Auffassung doch nicht dem UNO-Menschenrechtsrat zur Last zu legen. Diese Struktur hat vermutlich (so genau bin ich nicht im Bild) einiges geleistet auf dem Weg zur Wahrheitsfindung. Es ist Mode geworden, auf der UNO herumzuprügeln, gerade auch in rechten Kreisen – und es gibt sicher auch eine Menge Verbesserungspotenzial in dieser Struktur – aber Du müsstest mir erst mal eine vernünftige (hahaha) Alternative aufzeigen, bevor ich auch so pauschal darüber herfallen würde.
Wenn denn ein globales Kernproblem identifiziert werden müsste, dann würde ich es auf der Ebene der Macht respektive deren Ungleich-Verteilung ansiedeln: Wenn ich mit ein paar Hauruck-Berechnungen nicht völlig daneben liege, dann dürften sich die Umsätze ( = die Wirtschaftsmacht) der hundert grössten Konzerne und jene aller Regierungen zusammengenommen etwa die Waage halten, und beides zusammen dürfte etwa die Hälfte der Weltwirtschaft ausmachen. Der Rest, das wären dann die Minderheiten. Und Du weisst: Die Güte sozialer Systeme misst sich daran, wie mit Minderheiten umgegangen wird. Jetzt kann man depressiv werden ob dieser Ausgangslage oder versuchen, die Minderheiten – also die Schwächsten die Du erwähnst, und ein paar weniger Schwache – zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zu ermächtigen. Das ist die eigentliche Herausforderung, die es aus meiner Sicht zu meistern gilt. Denn kaum jemand drischt so gnadenlos aufeinander ein wie die Schwachen und die Schwächsten. Und genau das ist das Wasser auf den Mühlen der Starken und Stärksten – und es erklärt wohl auch den allergrössten Teil der Propaganda, die wir über uns ergehen lassen müssen…
Mit Deiner Interpretation, Die Sicherung laufe darauf hinaus, dass Täter als Opfer erwachen, habe ich etwas Mühe. Zumindest war es nicht beabsichtigt, diesen Dreh ins Zentrum zu stellen. (Nebenbei gesagt: Diese Mechanik könnte aus meiner Sicht durchaus zu mehr Gerechtigkeit, Fairness und Menschlichkeit führen, wenn man bedenkt dass Effekte exzessiver Elitenbereicherung wie z.B. Umweltprobleme mehr und mehr auch auf die Verursacher zurückschlagen…). Die Sicherung ist aber stärker fokussiert auf den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Horizonterweiterung, Handlung und Effekt. Du kannst kritisch anmerken, dass dies ja genau die Dinge sind, die skrupellose Abzocker von frühmorgens bis spätabends tun, Und dann kannst Du noch kritischer hinterfragen, ob ich für diese Kreise ein Plädoyer halten möchte. Die Antwort ist natürlich Nein, und ich habe in dem Buch ja einige Hinweise versteckt, wie sich konstruktiver und destruktiver Lebensstil unterscheiden. Nur verstehst Du bestimmt, dass ich hier nicht alle Geheimnisse ausplaudern will….
Frage: Die Reise der Abenteuer*innen in Deinem Buch „die Sicherung“ führt von einem zum Teil umnachteten Europa nach Afrika in den Kongo, eine Region die Du seit über 20 Jahren bereist und in der Du Dich auch mit Projektarbeiten engagierst. Wie ist Deiner Einschätzung nach die Situation im Kongo zur Zeit; – bewegt sich etwas und wenn ja in welche Richtung?
H. Homberger: Die Situation in der Demokratischen Kongo (DRK) bewegt sich in verschiedene Richtungen gleichzeitig, was ja auch auf den Rest der Welt zutrifft. Sehr traurig ist in meinen Augen das Desinteresse und die Indifferenz gegenüber dieser Region – und anderen „armen Ländern“ – von Seiten einer überwältigenden Mehrheit von „uns“ in den industrialisierten Ländern. Zentralafrika ist aus Sicht der „reichen“ Länder abgeschrieben und ich finde das nicht nur skandalös sondern letztlich auch schädlich für Menschen in den Ländern, die dieses Downrating betreiben. Als Beispiel lässt sich eine sehr aufwändige, zweiteilige Reportage kürzlich in der Zeitschrift GEO anführen. Da ging der Journalist vom Befund aus, dass sich die DRK im Human Development Index der Vereinten Nationen irgendwo auf dem letzten Platz befindet, reiste kreuz und quer durchs Land, machte teure Fotos, und listete dann eine Beobachtung nach der anderen auf, um zum (vermutlich vorgefassten) Schluss zu gelangen, dass es aus seiner Sicht richtig Scheisse läuft im Kongo. Dieses Muster finde ich häufig in der Berichterstattung, nicht nur zur DRK. Aus meiner Sicht kann ich diesen Schluss überhaupt nicht bestätigen, auch wenn ich niemals abstreiten würde, dass es riesige Probleme gibt in der DRK. Diese sind aber – wiederum meine Sicht – längst nicht alle den Kongolesinnen und Kongolesen anzulasten. Gerade ist ja in den Kinos „Kongo Tribunal“ von Milo Rau angelaufen und ich finde, dass es den Machern gut gelungen ist, die Ambivalenz – wahrscheinlich müsste man sogar von Multivalenz reden – der Situation in der DRK darzustellen. Was mir in diesem Film gefehlt hat ist einerseits eine präzisere Einordnung der Rolle der Nachbarländer der DRK im ganzen Drama: Es wird zwar erwähnt, dass sie involviert sind in die Plünderwirtschaft, aber zuletzt wird die Hauptschuld an kongolesische Eliten und – abwesende – Rohstoffmultis zugeschoben, was ein unvollständiges Bild ergibt. Andererseits ist es Rau nicht gelungen, das Ausmass der Diskriminierung zu erfassen, welche die dicht besiedelten Regionen um die Provinzhauptstadt Bukavu herum (wo der Film hauptsächlich spielt) von den peripheren, ländlichen Gebieten trennt, wo zahllose Leute in Vergessenheit vor sich hinvegetieren und exzessiver Gewalt ausgesetzt sind, von Gruppen, die sich ihr Stück aus dem Rohstoffkuchen herausschneiden wollen.
Als weiteres Problem in der DRK hat sich für mich über die Jahre der Mangel an verlässlichen und aktuellen Informationen zur sozialen Realität und zum sozialen Wandel herauskristallisiert. Und ich würde die Behauptung wagen, dies treffe auf sehr viele Konfliktregionen dieser Welt zu. Auch hier trifft der Befund wiederum vor allem auf isolierte, ländliche Regionen zu. Aus diesem Grund sind wir dabei, in der Provinz Süd Kivu (DRK) ein Sozialobservatorium auf die Beine zu stellen. Dieses soll über einen längeren Zeitraum relevante Daten öffentlich zur Verfügung stellen, in erster Linie um der Lokaladministration und der lokalen Zivilgesellschaft die Planung und Operationalisierung eines angemessenen und effizienten Service public zu ermöglichen. Dies soll mehrheitlich durch teilzeitlich beschäftigte Lokaljournalisten erfolgen und auch für Akteure ausserhalb der Region – warum nicht für „uns“ – Nutzen beinhalten.
Frage: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Dich dazu gedrängt hat diese Geschichte niederzuschreiben und was für ein Wirkung wünschst Du Dir mit diesem Buch ?
H. Homberger: Von einem Schlüsselerlebnis würde ich nicht reden, eher von einem steigenden Druck, der zuletzt die Sicherung ansprechen liess. Wenn sich Leserinnen und Leser von der Geschichte wegtragen und zum Nachdenken anregen lassen, dann hat das Buch die von mir erwünschte Wirkung schon weitgehend erreicht. Wenn dann jemand vor einem individuellen Entscheid an die Sicherung denkt und von mehreren Optionen die menschlichere wählt, dann wären die Erwartungen übertroffen. Wenn dann noch ganz, ganz viele Leserinnen und Leser über Menschlichkeit so lange nachdenken, bis sie zum Schluss gelangen, dass dazu ein sehr, sehr weiter Zeithorizont gehört, dann wäre wohl bei vielen Herausforderungen – in der DRK und bei „uns“ – die Lösungssuche deutlich einfacher. Jetzt habe ich halt doch noch ein Geheimnis aus der Geschichte ausgeplaudert…
– Die Buchtaufe der Publikation „Die Sicherung“ findet am 2.Dez im Raum312 in Wetzikon statt.
Bitte um den ersten Kommentar.