Endlich ist es da, das Debutalbum der Folk Noir Band Deserto Parallax. Der Albumtitel »Out Of Time« passt auch grade gut in eine Gegenwart, in der das Ticken der Uhren nicht mehr wirklich viel Freude bereitet, weil sie in der Mehrzahl Zeitbomben sind.
Mit ihren Songs schicken uns »Deserto Parallax« auf eine Reise, die auf Abwegen beginnt und manche ins Abseits führen, oder zumindest fremdartige Wahrnehmungserfahrung bescheren wird.
Die ersten scheppernden Gitarrenklänge erinnern ein wenig nach Velvet Underground. »Out Of Time« – Man wähnt sich auf einer alten, wackeligen, halb verrotteten Karre, deren misslaunigen Räder so langsam ins Drehen kommen. »It’s still morning – It could be evening – Any time of day» – Soviel zu den ersten Regieanweisungen.
Beinah schon zum Schunkeln lädt »Japanese Eyes« ein. Die Blutbahnen weiten sich – ein prima Song, sehr cool gesungen. Auch flott die Instrumentierung: die warmen dumpfen Pauken, die sich so prima mit dem Kontrabass vermischen. Die Ry Cooder-Gitarre und dieser Klimperkasten. Auf verwegene Art fiebrig, irgendwie ramponiert und abgefahren, als spielte sich das alles in einer doll vollgerauchten Bude ab. Doch keiner wird je erfahren, was sich da Maximilian der Sänger, nach einer durchwachten Nacht in seinen Tee gerührt hat, in der Annahme es sei Zucker und dann diesen abgründigen Song geschrieben hat.
Das kommt nicht gut. Schwesterchen killt Brüderchen, die Stimmung kippt – »I’m sick of the weather man« weil der liest einem aus der Hand und kündigt Regen an. Dieser Regen, so scheint es, wäscht den gröbsten Schutt der Zeit weg. Der Blues bleibt, man schreitet durch den Matsch, was will man. Ja, da kommen Bilder, ziehen ganze Filme mit schiefen Holzbaracken und jede Menge Schrott und Müll vorbei. Jarmusch lässt grüssen und mit ihm ein Zeit, wo eine moderate Selbstzerstörung noch eine stilsichere Antwort war auf eine Welt, die Hops ist.
Dann ein Schlafliedchen. »Sad Wind’s Lullaby«, gesungen von einem Schäfer, der irgendwo da draussen hoch in den Bergen mit seinen 1000 Ziegen in der Kälte hockt. Er weiss nicht wie er seine Rechnungen zahlen soll und sonst auch nicht viel erfreuliches – Gute Nacht – Dass diesem Schäfer seine Frau irgendwo mit nem anderen auf nem Trip ist, versteht sich von selbst. So bleibt ihm sein Schlaflied, Brandy und eine letzte Zigarette, die er mit Dir teilen wird, sofern Dich nicht bereits der kleine Bruder des Todes, der Schlaf, in seine sanfte Umarmung gezogen hat.
»Grasbourg« Einer meiner Lieblingssongs. Wirklich gut auch hier die Performance. Max bleibt immer fragil, intoniert am Abgrund und man muss sich um ihn ein wenig Sorgen machen. Der verstimmte Klimperkasten tut das Seine und die coodersche Elektrische schneidet ins Blut. Mein Puls, der holpert schon wieder – hier lauern also die Gefahren der Independent Musik.
Da schickt ein Vogel leichensüsse Gesangskaskaden in die Nacht hinaus. Dazu wird auch noch der Name Nosferatu im Beipackzettel erwähnt. Bei »Midnight Bird« trägt man die Knoblauchkette am besten gleich zwei- oder drei Schlaufen dick um den Hals.
Verflucht seien die Götter! Was bedeutet eigentlich »Deserto Parallax«? Mit »Deserto« kann Wüste gemeint sein oder aber auch desertieren, abhauen bedeuten. »Parallaxe« ist ein Begriff aus der Wahrnehmungspsychologie, der die unterschiedliche Wahrnehmung von Objekten, die wenn nah dann schnell, oder weit weg dann langsam am bewegenden Betrachter vorbeizuziehen scheinen. Die beiden Begriffe kombiniert bleiben aber ein rätselhaftes Menetekel.
»Catch a Fly« – Die Gedanken sind etwas wirr. Grüne Meere rundherum, die Jahreszeit in rot. Komme ich wieder zur Besinnung, wenn ich jetzt eine Fliege flach klatschen würde? Vielleicht einfach noch für eine Weile sitzen bleiben, den Sand durch die Finger rinnen lassen. Frieden kommt Frieden geht, Sonnen, Schlösser und ab und an kurze Lichtblicke, die diesem seltsamen Sein sozusagen die Krone aufzusetzen…
Auch wenn alle ans Licht drängen, wir werden in die Finsternis zurückkehren. Und nicht jeder Baum wird 2000 Jahre alt. Und ob denn ein solches Alter zu erreichen ein Gewinn ist, bleibt zu bezweifeln. »Ogygia« – Die alten Griechen haben es vorgezogen jung zu sterben, um das Dasein nicht unnötig zu strapazieren. Ein wenig Wehmut schwingt aber mit, weil man ja all der Weisheiten zum Trotz doch nie ganz auf der sicheren Seite ist.
Umpf – Da wummert sakral ne Orgel los und eine kleine Panik überfällt mich, es melde sich Jim Morrison noch einmal zu Wort. Wie auch immer, irgendwer kratzt da den Himmel schwarz. Das Angebot aus dem Schattenreich lautet: »I won’t cause you trouble – Trouble will find you anyway«
»Fruit Princess« Da wird einmal mehr ein Mädel ins Mystische verklärt und das scheint mir gefährlich. Der eigenen Verzauberung wegen und in Anbetracht der Jugend des Songschreibers, lassen wir das jetzt noch einmal durchgehen. Die Hormone werdens mit der Zeit richten und sonst tuns die auf die Enttäuschungen folgenden Leidenszeiten.
Die Puppen wollen tanzen. Das Leben, diese verrücktes Theater will gespielt sein. Und ein jeder glaubt, er selbst bewege seine Puppe und keiner will wahrhaben dass die Fäden in Wirklichkeit von der Hand eines unsichtbaren Verrückten bewegt werden. »Puppet Factory«
»Soulful Queen« – Wer hat gesagt das Glück nicht etwas trauriges ist? Vielleicht möchte ich doch lieber nicht nach einer Antwort auf diese Frage suchen. Wenn doch, dann folgte ich meiner stillen Melancholie entlang ins Dunkle. Ja mit diesen Königinnen ist das so eine Sache. Vor allem für den, der die Neigung hat, solche antreffen zu wollen. Jener kriegt im besten Fall als Lohn ein paar abseitige, wie eigenwillig tragische Songzeilen auf seinen Lebensweg. Eine Kunst, die Songwriter Maximilian Spyridon Tzortzatos extrem gut drauf hat – Chapeau!
Wenn man jemanden zur Bude rausknallt, klingt das selten besonders hübsch. »Won’t Make You Rich« klingt tatsächlich nicht hübsch und muss es auch nicht. Ausser vielleicht den Nachweis erbringen, dass auch der Einsatz aller Pfefferminzplätzchen dieser Welt noch lange keine Garantie für Reichwerden, sowenig wie ein Alibi fürs Armbleiben ist – Basta.
Zeit, und Zeit ausserhalb der Zeit, sind für uns in Rastern denkenden Menschen der Postmoderne schon nahezu existenzbedrohliche Begriffe. Unsere Altvorderen hatten noch ihren lieben guten Einstein, der Zeit einmal harmlos als, das was wir auf dem Wecker ablesen würden, definierte. Doch die Zeiten dieser harmlos situativen Bilder sind vorbei. Von dem her gesehen ist »Out Of Time« Inbegriff für eine jener Lebensstrecken, in der wir den Wecker -vielleicht mit Absicht- zu Hause vergessen, einfach liegenlassen, oder gar mutwillig zertrümmert haben.
Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, auch mich irgendwo einfach so liegen zulassen und davon zu laufen. Ich weiss das ist kindisch, aber wer zwingt mich denn schon, mich mit mir selber abzugeben? – nicht wirklich jemand. »After All« – oder das bittere Ende. »You leave me bruised and umarmed – and after all you lick my wounds« / Ihr lasst mich geprellt und unbewaffnet zurück – und leckt doch meine Wunden. Zigarette anstecken und dem Rauch nachgucken war früher einmal bei solchen Erkenntnissen meine Devise.
Die Band »Deserto Parallax« ist als eine bern-griechische Freundschaft wie ich finde eine sehr gelungene Unternehmung: Die Musiker aus Bern mit ihrer abgründigen Aare, die schon so manchen Überdrüssigen von seinen irdischen Nöten befreit hat und Maximilian als Abkömmling der Antike, aus jenem Griechenland also, das ein Sinnbild für eine hart zubeissende Sonne ist, an deren scharfkantigen Schattenwürfen die Verzweifelten sich damals die Pulsadern aufzuschneiden geruhten…
Die Songtexte von Maximilian sind gerade in dem Grad abgedreht, wie ich es liebe. An ein paar letzten losen Fäden hangen noch Reste dieses quasi Realen über dem dunklen vielleicht von Wahnsinn befallenen uns im Würgegriff haltenden Grossen. Eine Spielart von Poesie, die mich sehr anspricht, gerade durch ihre Zerrbildlichkeit, ihre Welt- und Zeitentfremdung. Sie ist durchzogen von jener Melancholie, die über den Dingen liegt, die sich vor unseren Augen auf unwiederbringliche Weise abspielen.
Auch verschränkt sich Maximilians Lyrik wundervoll mit den abgefuckt funkelnden Sounds und Rhythmen die die Band spielt. So entstehen Skizzen und klingende Fragmente ganzer Landschaften abgewrackter Emotionen, die typischerweise ein Schreiten ausserhalb der Zeit hervorzubringen pflegen. Dieses latent ungute Gefühl, das einen als Teilnehmer dieser immer abstruseren Unternehmung namens »Mensch« beschleicht, kommt in diesem Album überhaupt sehr stimmig zum Ausdruck.
Ich bin sehr angetan von diesem Album und freue mich, diese Musiker von »Deserto Parallax« und ihre Songs nun schon bald live zu erleben. »Out Of Time« wird mein Soundtrack für diesen Sommer sein. Jetzt fehlt eigentlich nur noch – der Sommer. D.T.Koller
Taufen tun Max und seine schrägen Kerle ihr Debutalbum in der Heitere Fahne Bern, am 21. und 22. Mai (ausverkauft). Gemeinsam als Doppeltaufe mit «Adaya«, die ihrerseits ihr Album »New Land« vorstellt. Im Juni und im August sind dann »Deserto Parallax« und »Adaya« auch Teil der »Echo Guerilla Tour« ein Begriff, dem noch einiges folgen wird und der hier nun zum ersten Mal genannt worden sei…. DTK
Service Public: Deserto Parallax das sind Maximilian Spyridon Tzortzatos: Vocals, Guitars / Federico Bianchi: Guitars, Keys / Dominic Gilgen: Double Bass, Slide Guitars / André Götte: Drums
Deserto Parallax bei Bandcamp (Album Out Of Time) / bei Instagram / bei Echo Kollektiv / Deserto Parallax bei Vitaltransformer / Adaya Homepage / Adaya bei Echo Kollektiv / bei Facebook / bei Bandcamp / Heitere Fahne Bern / Echo Guerilla Tour Tickets
2 Kommentare
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[…] ich vor drei Jahren die Band mit ihrem Debutalbum Out of Time kennenlernte, waren sie ein eingeschworenes Quartet, schräg, ziemlich weggetreten, mit Songs wie […]