…ist auch schon wieder vorbei[1] und warum sie jetzt besser sitzen bleiben oder doch lieber aufstehen möchten?
Manchmal würde man den Menschen gerne zurückrufen, aber er hört nicht. Will nicht, will nicht hören, nicht schauen, sich nicht bewegen, nicht seine ihm nur auf einen vagen Verdacht hin zugeteilten Geleise verlassen. So bleiben alle Aufstände ohne Wirkung und wir beschäftigen nun also ausschliesslich Sitzengebliebene.
Ob sie es glauben oder nicht: sie glauben an sich, sie lecken sich sogar gegenseitig den Schaum von den Lippen. Vielleicht aber vergessen diese Vorstandsvorsitzenden sich auch mit der Zeit, fallen aus ihr heraus, werden blass und nicht einmal mehr der Teppich[2] wird von ihrem Auftreten noch zu beeindrucken sein.
Man werde auch für die weniger schönen Geschichten bei diesem generationenübergreifenden Projekt die Verantwortung übernehmen. Solche, und noch einige andere Floskeln nahm der zuständige Vorstandsvorsitzende aus der für ihn vorbereiteten Aktenmappe in seinen Mund und spuckte sie der Medienschaffenden ins Auge ihrer Videokamera.
Das machte einen Kunstschaffenden lachen und er schmiss dafür eines seiner Werk in die Welt; malte eine überdimensional grosse Schnecke[3] an die Wand einer nur noch von einer handvoll Tauben beschmutzten, von den Menschen aber verlassenen Industriehalle.
Eine gemalte Schnecke braucht niemand zu verantworten, weil an einer gemalten Schnecke kaum jemand leiden wird, höchstens einer, der das Beschränkte dieser Arbeit bemerkte. Kritik an der Kunst jedoch sei tot[4] und sie trägt seither dieses schwarze Band mit den drei gelben Punkten am Arm.
Aus diesem Grund geht heute keiner mehr unbeschwert auf Kunstschaffende zu und man spricht sie erst lieber gar nicht an. So bleiben sie alleine, werden zu vereinsamt Weggesperrten, beinahe gleich, wie es in absehbarer Zeit auch die Vorstandsvorsitzenden mit ihren ausgeleierten Werbesprüchen sein werden.
Worte hätten auch ein Gewissen[5], aber ist das nicht bloss eine Reliquie abgenutzter Ideale aus trüber Vergangenheit?
1 “Das Neue ist auch schon wieder vorbei”, Phrase aus dem Song “Das Neue” der Musikschaffenden Sophie Hunger, im Original “Und jetzt ist das Neue vorbei”, Sophie Hunger, Cd “The Danger of Light” © 2012 Two Gentlemen
2 Teppich: Sicherheitsmatte der bürgerlichen Weltordnung, Ursprung als Metapher im Lied “Truurchranz” von Paul Weixler, Zürcher Mundartpoet, Originalstrophe: “ich han scho mänge Teppich ruiniert”, Teil der Performance “Zwei Patienten taufen den Augenblick” Paul Weixler/Pierroz, April 2017, Helsinkiklub Zürich.
3 Gemalte Schnecken im Art Campus Attisholz: King Hall, Dest Jones, Oktober 2016, Titel “Rennschnecke”, Bilddokument siehe Publikation recording 1.0, Seite 176 / Fassade an der Aarefront in 40 meter Höhe, Pollo 7, Juni 2018, Titel “Homeless in Heaven”, Bilddokument siehe Publikation recording 2.0, Seite 140/141
4 “Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert wird die zeitgenössische Kunstkritik als eine in der Krise befindliche Gattung wahrgenommen” (Wikipedia)
5 “Das Gewissen der Worte” Essays von Elias Canetti (1905-1994), Buch © 1975,1976 Carl Hanser Verlag München
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Ein Kommentar
[…] Dokumentation recording 2.0 ist nirgends erhältlich, darum haben wir den Beitragstext “Das Neue” jetzt online […]