Die Zeit rauscht dahin und beinah wäre das aktuelle Cyrilov Album »Sediment« ohne Schattenwurf an mir vorbei gezischt. Da hat mich aber letzthin der grosse Tscheche mit dem Bart an den Ohren zu sich nach Hause geschleppt und wir sind dort bei ein paar Flaschen Wein eine Nacht lang in seiner Stube gehockt, haben uns vortrefflich unterhalten und nebenbei auch seine altertümliche Stereoanlage ein wenig traktiert. Nebst einigen älteren Klassikern haben wir uns dann eben auch sein neues Cyrilov Album angehört.
Haut man die neue Cyrilov namens »Sediment« ins Gerät und drückt auf Play, dann grölt Genosse Tom gleich mal mit voller Spucke los. So bin ich mir das gewohnt, so brauche ich das und gerade so mag ich ihn…
»Kreislauf des Lebens« ist ein erstes von insgesamt sechs deutschsprachigen Lieder auf diesem Album, die anderen sechs sind Tschechisch. »Kreislauf des Lebens« und »Kein Platz mein Schatz« sind vertonte Texte von der Zürcher Autorin Mitra Devi. Tom ist irgendwo auf ihre Lyrik gestossen, hat Sie angefragt, ob er ihre Arbeiten für seine Musik verwenden dürfe, hat dafür eine pauschale Zusage gekriegt und ist so nach deren frühen Tod in gewisser Weise Erbe ihrer lyrischen Arbeiten geworden.
Nach zwei tschechischen Stücken, bei denen ich, wie schon bemerkt, nur ein dem Bartende von Tom nicht unähnliches Flattern von Flechten in böhmischen Wäldern ausmachen kann, kommt »Lied eines Lumpen«, ein in Musik getauchte Lyrik von Wilhelm Busch. Tom vergreift sich ja gerne an den weltbesten Lyrikern und macht das ganz gut wie ich finde.
Im »Lied eines Lumpen«, der Vertonung einiger Wilhelm Busch Verse, kommt deren Düsternis sehr schön zum Ausdruck. Der Bass, so scheint es, sägt zu Beginn die Särge einiger Trunkenbolde entzwei, diese fuhrwerken dann irrlichternd durch die Zeilen des Liedes. Doch das bittere Ende eines jeden Lumpen endet, so auch hier, am Schluss nicht drinnen, sondern draussen vor der Tür.
Ringelnatz kommt dann später auch noch dran und Rilke. Auf dem vorhergehenden Cyrilov Debutalbum, war Kästner mit dabei und natürlich Heine, aber auch ein jüngerer, der Kreisler. Bislang hat sich Tom noch nicht getraut, eigene deutsche Text zu vertonen, eine Scheu, die er eines schönen Tages ablegen wird, da bin ich mir sicher.
Bärenstark finde ich das Album Sediment von Cyrilov. Das ist dem Bassisten und bei dieser Produktion als Tonmeister agierenden Armando Wehrli zu verdanken. Markig, wie er die dunkelschweren Tonmassen schichtet, eben Sedimente, des in eigentlich Allem innenwohnenden unterschwelligen Grauens. Cyrilov machen uns das hör- und erlebbar.
Die verschiedenen, allesamt aus biergetränkten Gassen stammenden Tanzrhythmen sind unwiderstehlich. Tief in meinem rabenschwarzen Gemüt sehe ich die aufwirbelnden Staubwolken über den im Schattenreich tanzenden Skeletten.
Kennen tut man den Ringelnatz vielleicht durch sein »Im Park«, diese schöne Geschichte von dem Reh aus Gips.
»Das Schiff«, ein Text von Ringelnatz. Von weit draussen her, dringt die Stimme von Tom zu uns. Der auf hoher See verloren gegangene Tscheche klagt »wir frieren, wir frieren« und der Kontra weint auf dünn gestrichener Saite oder knarrt in den Planken, als schlüge gleich das Packeis den Kiel entzwei.
Eine »Kuckucksuhr« wird Zeuge einer in 55 geruhsamen Ehejahren eingebetteten, und für die männliche Hälfte auch vergnüglichen Hurerei, deren weitere Akzeptanz und Duldung die Ehegattin nun aber fristlos aufkündigt und den Hurenbock in die Wüste schickt. Ähnlich wie im ersten Liedtext von Devi Metri, rasselt auch im »Kein Platz mein Schatz«, abgefuckte Bürgerlichkeit durch das verknorzte Uhrwerk.
»Peinlich Berührt« wiederum eine Wilhelm Busch Vertonung. Busch, ein Mann aus deutschen Landen, hat mit diesem Gedicht den schweizerischen Angst- und Schlaumeiercharakter eigentlich vorweggenommen. »Ein Narr hat Glück in Masse / Wer klug hat selten Schwein« – ist einmal mehr ein Schuss ins Schwarze. Durch die mit übersetzter Geschwindigkeit transportierten Audiopartikel, ist unser grosse Tom inklusive Bart zu einem Gartenzwerg mutiert, was aber der im Lied darzustellenden kleinmütigen Figur nur umso gerechter wird.
Zum Schluss nun noch »Karussell«. Den haben Cyrilov auch als Video publiziert und als Vorabsingle seine Runden drehen lassen. Das Lied ist tief traurig geraten und von einer bodenlosen Sehnsucht, als wären auch sie als Musiker von einem Land umweht »das lange zögert, bis es untergeht…«
Die Lyrik zu »Karussell« ist von Rilke. Von einem Schwergewichtler also und mutig, wer sich mit ihm in den Ring begibt. Cyrilov beweisen aber einmal mehr spielend, dass ihr Potenzial gross und ihre Kreativität noch keine Begrenzungen erfahren hat. Ein Umstand, den ich nun doch ein wenig eingeschüchtert, beim Barte dieses ungestümen Tschechen und Armando, dessen ziegenlederzähen Partner am Kontrabass zugeben muss.
Service Public: Mitra Devi – »Galgenvögel«, »Schattentanz« und »Henkersmahl« heissen die Sammlungen ihrer schrägen Gedichte, die das Verlagshaus Schwellbrunn/Appenzeller Verlag publiziert hat.
Cyrilov: bei Bandcamp // Homepage // Beiträge von und über Cyrilov bei Vitaltransformer
4 Kommentare
schön ge- und beschrieben, ich wusste gar nicht, dass »Peinlich Berührt« wiederum eine Wilhelm Busch Vertonung ist. Nun, zu diesem ollen Busch gibt’s viele Verbindungen, wohnte, lebte und wirkte er doch gleich im Nachbardorf. Und hätte ich dies doch nur früher gewusst, dass er ein Mann aus deutschen Landen, der mit seinen Gedichten und Geschichten den schweizerischen Angst- und Schlaumeiercharakter eigentlich vorweggenommen hat. #FreiheitMachtAngst #FreedomPowersFear. Werde ab heute vielmehr W.B. zitieren »Ein Narr hat Glück in Masse / Wer klug hat selten Schwein« – ist einmal mehr ein Schuss ins Schwarze. – Ritze Ratze spült es mir Verse und Zeichnungen in die Birne, die sich lustig Reimen _ und wohl eher unter die Rubrik „Grafic novel“ heute passen. Wofür jährlich in seinem Namen ein Preis verliehen wird, wen’s interessiert. // Heute – das Sauerteigbrot mit Weissmehl von Demeter (nicht der Muttergöttin) sondern diesem Verband verbacken. Da es so entsetzlich flüssig, weich und soft war, habe ich’s kurzhand nach viel zu langer Gärungsphase – wie es nach der San Francisco Methode beschrieben isr, die ich irgendwann ‚mal gelesen, mir sofort wieder einfiel, in einen Backtopf geschüttet und bei 240 Grad in den Ofen geschoben, #keinebrotloseKunst. Natürlich mit ausreichend Wasser, sonst wird es ja „knüppelhart“. Nebenbei liefen die Verabredungen für morgen #Festivalplanung #Lem 15:00 Uhr, #kunstalk ab 19:00h Live Streaming sowie LogIn etc… Nun, wie froh darfst du dich schätzen mit dem Florian 1. Ass. vom Koller usw. Hätte ich mich da nur ‚rausgehalten, dann hätte ich kaum heute Abend 1 Stunde mit dem Auskratzen des Topfs verbracht; jetzt keine schmerzenden Blasen am Daumen, die so hinderlich sind beim Antippen der Tastatur. Das Einölen und Einfetten des Topfes hatte ich „schlicht“ vergessen oder ich dachte, dass die Beschichtung des BackTopfes es schon richten wird. Seit der Entlassung der Admin. läuft es hier nur noch d’runter und d’rüber und ich muss mich um fast alles selber kümmern 😉 Dies erinnert mich sogleich an deine Art der Sauerteigzubereitung, bei der du jeweils in einem sehr frühen Stadium der Zubereitung Öl zufügst: wie, wann, welches?
Geschätzte Kollegin Matter – Danke für die Blumen, die ich gerne an Pierroz, unseren Hochrisikopatienten, multiplen Härtefall etc., etc., etc. weiterreichen werde. Er wird sich sehr darüber freuen, dass du sozusagen eine Nachbarin von dem aus Wiedensahl stammenden Wilhelm Busch gewesen, ja, der Gedanke liegt nahe, dass du ein Abkömmling seiner Figuren sein könntest, es fragt sich eigentlich nur um welche es sich denn handele – die fromme Helene vielleicht?
Immerhin passt dem Busch seine angewandte Brutalität sehr gut zu deinem zu Mehl gemahlenen Göttinnen und beweist auch dessen Zeitlosigkeit und die Generationen übergreifende Gültigkeit seiner Botschaften, die besagt dass vieles, früher oder später, ob gefragt oder ungefragt, durch den Kamin zu gehen pflegt. Hatte er nicht jüngst ähnlich eurem Watzla-Dingsda einen runden Geburtstag gefeiert und wurde deshalb ebenso auch einmal mehr ungefragt, durch alle besseren und eben auch schlechteren Magazine geschleift?
Das wir, und ich meine damit dich, diesen grossen Tschechen, übrigens einer der wenigen Freunde von Pierroz, und mich, dass wir den Busch so achten liegt wie ich vermute ein wenig an der uns anhaftenden Altertümlichkeit. Bei Tom könnte man das an seinen horizontal gestreiften Shirts zu beweisen versuchen und in meinem Fall spricht man gerne von einem, der bereits mit veralteten Ansichten zur Welt gekommen ist. Bei Tom wäre eine Nachfrage diesbezüglich vielleicht noch ergiebig, habe er doch tatsächlich in einem von allen Geistern verlassenen Kaff Ziegen gehütet, Cyrilov habe dieser Unort geheissen.
In deinem Fall ist sicher dieses ewige Laborieren mit Sauerteig ein Indiz für ein Traumata, ausgelöst durch die Erfahrung eines eben mit seiner schliesslich erkalteten Schale knüppelharten und nicht teigweichen Erdenrunds – wer weiss, vielleicht wirds Wazlawick richten, vielleicht auch nicht – dann helfen eben Busch Verse, oder dann wertet vielleicht Öl aus geröstetem Sesam immerhin den Geschmack des an sich Zweifelhaften ein wenig auf und bietet so Trost in unserer an und für sich aussichtslosen Lage.
Hochachtungsvoll D.T.Koller Vorstandvorsitzender Schweizer Kunstsamariter, Heimleitung Kunstsanatorium Zürich
hoch – Geschätzter Kollege Koller ja, ja bitte weiterreichen an Hochriskopatienten und -patient*innen:
Und hilflos und mit Angstgewimmer
Verkohlt dies fromme Frauenzimmer.
Hier sieht man ihre Trümmer rauchen.
Der Rest ist nicht mehr zu gebrauchen
kurzerhand – wird umgeschwenkt auf Science Fiction, Stanislaw Lem und Sesamöl mit ebensolchen hochachtungsvollen Grüssen Birgit Matter
liebe bimatter, lieber koller – cyrilov macht halt weiter, mal besser, mal schlechter, je nach dem… wie zwei landvermesser, die ziellos durch eine unbekannte landschaft ziehen und eine karte zeichnen. der eine mit seinem theodolit, der andere mit dem langen masstab… kurz anhalten, in den abstand gehen, vermessen, notieren, weiter gehen – routine. ein tag wie der andere. landprofil entsteht… wo bleibt die zeitachse? und wie ist das mit dem wetter?
wetter ist im moment nicht gut – nebel. der nebel ist für landvermesser das schlimmste – man sieht den masstab nicht. schwierig nach vorne zu gehen… preise der versicherung wachsen und eben – …’wer klug, hat selten schwein’… sollen wir anstatt nach vorne lieber nach hinten schauen? aber die zeit läuft nicht rückwärts! vorne droht ein abgrund, den wir nicht sehen. nebel. dann gravitation!!! man muss nicht einmal vom dach springen, es reicht, wenn man weiter geht…
D E R N E B E L – Nr. 2 auf „Sediment“
(Mlha)
Ich habe mich auf das Treffen gefreut,
auf ein Paar Bier und auf das Lachen, auf die Geschwätze,
in der Zeit ist ein Haufen Sachen passiert,
es wird lustig, wenn man ein wenig übertreibt.
Ich sitze, warte, es kommen sms,
eine halbe Stunde und immer noch niemand da,
es macht kein Spass mehr immer die Brille zu ziehen,
und die entschuldigenden bla bla bla zu rätseln .
Ref: Sichtweite null, Navigation,
I-phone wie ein Armaturenbrett,
der Nebel herrscht jedoch nicht nur heute,
das Sozialnetz ist eine Gravitation.
Endlich sind sie da: sorry, sorry,
klar, easy, kein Problem, verstehe, verstehe,
ich habe hier auf eine Gruppe Kerle gewartet,
also schaltet doch die piiipsenden Bestien aus …
In einer Weile wird klar, dass es nicht geht.
Ohne Verbindung droht eine Panik,
die Rede reisst ständig, läuft irgendwo weg,
es gewinnt derjenige, der ihr hinterher weggeht.
Ref.: Sichtweite null, Navigation… …Gravitation, Gravitation!…aaaa!!!
es lebe der sauerteig!…;)