»Mit dem Leben stimmt etwas nicht.«, so beginnt »Mensch sein« von Carel van Schaik und Kai Michel. Das Buch enthält in kompakter und griffiger Form alles, was ein Mensch über seine eigene Spezie wissen muss. Das Ansinnen der Autoren ist evolutionäre Aufklärung als Beitrag zur gesellschaftlichen Emanzipation.
Dass mit dem Leben etwas nicht mehr stimmte, begann demnach vor zirka 12’000 Jahren, als die Menschen sesshaft wurden. Als sie ihre Lebensart als Jäger und Sammler aufgaben und begannen Ackerbau und Tierzucht zu betreiben.
Und davor? – »Die alte Vorstellung vom urzeitlichen Leben als einem erbitterten und entbehrungsreichen Kampf gegen den drohenden Hungertod kann getrost ad acta gelegt werden. Vor allem aber: 99% der Menschheitsgeschichte kamen Menschen ohne Hamsterrad, fordernde Vorgesetzte, Bullshit-Jobs, Burnouts, kurz: Lohnarbeit aus.«
»Anders als es landläufige Klischees gegenüber unseren Vorfahren behaupten, waren wir keine triebgesteuerten Primitivlinge, die ausser dem eigenen Überleben nichts im Sinn hatten, sondern höchst moralische Lebewesen – und sind es noch heute.«
»Die Gemeinschaften der mobilen Jäger und Sammler war egalitär und demokratisch. Die Vorliebe für Gleichberechtigung und Fairness liegt buchstäblich in unseren Genen.«
Die Menschen aber wurden leider sesshaft. Auf das Sesshaftwerden folgte das Privateigentum in Form von Bodenbesitz, von Haus, Vieh, Gerät und Vorräte. Die bei den Landwirten noch heute verbreitete Schufterei von frühmorgens bis spät in den Abend hinein begann.
Der sich ansammelnde Besitz musste jedoch beschützt und verteidigt werden: »Vor 5000 Jahren übernahmen bewaffnete Eliten die Macht, mit Königen an der Spitze und Bauern und Sklaven an der unteren Basis. Das war die Geburtsstunde der ersten Staaten, der ersten Zivilisationen und auch die der grossen Kriege.«
»Die frühen Staaten fanden sich bald mehr oder weniger im permanenten Krieg miteinander«
Die Frauen kriegten mit dem Sesshaftwerden mehr Kinder; doppelt so viele wie vorher als Jäger und Sammler. Dadurch ist innerhalb der vergangenen zwölf Jahrtausende die Weltbevölkerung von vier Millionen auf die heutigen acht Milliarden angewachsen.
Die Menschen wurden aber kleiner, kränklicher, auch die Hirne schrumpften, und die Welt wurde in eine Art Menschenzoo umgestaltet. Tatsächlich ist praktisch unsere ganze Umwelt mittlerweile menschengemacht.
»Die wenigen Jahrtausende sind viel zu kurz gewesen, als dass sich unsere genetisch basierten Intuitionen und Präferenzen unserer ersten Natur (angeborene biologische Dispositionen) hätten daran gewöhnen können. Menschen passen also nicht mehr recht in ihre Welt.«
»Die Zeit, die wir auf Bildschirme starren, ist Zeit, die wir nicht selbst gelebt haben. Unsere erste Natur kann nur etwas anfangen mit Menschen aus Fleisch und Blut, mit Dingen, die wir berühren können, und mit allen Sinnen erfahrbaren Erlebnissen. Alles andere sind für sie Ersatzstoffe.« … »Unsere erste Natur hängt nun mal in der Steinzeit fest.«
Gut so – darum klicke das hier mal flott weg, zieh dem Gerät vor deiner Nase den Stecker, und mach etwas anderes, etwas das dir besser, respektive weniger schlecht bekommt.
Mit herzlichen Grüssen in die Runde
Patient Pierroz
PS – Lesetipp: Carel van Schaik und Kai Michel – Mensch sein – Von der Evolution für die Zukunft lernen
Rowohlt Verlag, Hamburg November 2023
Das Buch »Mensch sein«, das seine Ansichten und Interpretationen aus den Erkenntnissen der Anthroplogie herbeiführt, ist sehr gut gemacht. Ich würde es als ein Grundlagenbuch bezeichnen. Es enthält kompakt in etwa das, was ein Mensch über die Tierart zu der er sich zu zählen hat, wissen sollte. Es ist frei von irgendwelchen ideologischen Zutaten, trotzdem sollte es keinen wundern, dass darin die Weltreligionen, das Patriarchat und der Turbo-Kapitalismus schlecht wegkommen. Das kommt daher, dass sie Teil der verderblichen Ernte sind, deren Saat mit dem kulturellen Misstritt vor zwölftausend Jahren aufgegangen ist.
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