Mitte Februar 2015 erscheint die neue CD von Pierroz – ein Werk voller hintergründiger Lyrik, vorwiegend auf Mundart, wohltuend pessimistischer Popmusik und seltsamer Stimmungen.
Pierroz ist die Einmann-Band des existenzialistischen Allround-Künstler gleichen Namens. Er sitzt in seiner kleinen Dachkammer in der Nähe von Zürich, bekocht Gäste mit gut gesalzener Vegikost und liest Bücher von Goethe, Hoffmannsthal oder Klaus Mann.
Vor allem aber schreibt er radikale, verschroben-verletzliche Lyrics und vertont diese im Alleingang mit all seinen Instrumenten mal luftig, mal bockig, abseits des Mainstreams, aber immer interessant im Gehörgang. (Mike Merlot)
Service Public: Pierroz bei Vitaltransformer
6 Kommentare
von wegen goethe: schämt euch nicht den zu lesen, der hat substanz und damit erübrigt sich viel von dem geschnorr was nach ihm folgte.
hier ein paar zeilen aus seinem „wilhelm meisters lehrjahre“: die kunst ist lang, das leben kurz, das urtheil schwierig, die gelegenheit flüchtig.
handeln ist leicht, denken schwer, nach dem gedachten zu handeln unbequem….(lehrbrief/siebentes buch)
Ja, mein ach so böses Album ist bald fertig. ist es böse? nein nein…
ich mache halt was anderes als diese süsse sauce, die aus den meisten radios herausquillt. …und wenn ich den mund aufmache, und wenn die band losscheppert, muss es zwar nicht grad super gescheit daherkommen aber auch nicht mit vorsatz dümmlich. da lass ich dann lieber ein paar worte ungeschliffen stehn, ein akkord die frage selber beantworten, wo er sich heimisch fühlen will.
letzhin hat mir einer einen ausspruch (ich weiss auch nicht mehr von wem) zitiert, der lautete in etwa so: „man muss schon mal in die schlammpfütze dreinstampfen, wenn man erleben will wie weit der dreck spritzt“
dreck muss es nicht immer sein, doch…ja warum eigentlich nicht?
Finissage – ein respektables werk, anhören bittesehr! Gefällt mir auch, weil es das strikt subjektiv-individuelle dem allgemeinen moralgewäsch vorzieht. Jetzt noch subversiver also. Oder was meinsch, Pierroz?
Lieber Mike
Besten Dank für die Blumen – beim Reizwort »subversiv« habe ich in meinem ollen NSB-Lexikon nachschauen müssen und bin auf den Begriff «umstürzlerisch« gestossen. Nun, wo wollte ich denn hin umstürzen, würde ich mich da fragen müssen und könnte diese Frage nicht schlüssig beantworten. Vielleicht das gegebene/vorgefundene etwas aufweichen, einen Gegenentwurf präsentieren, damit wohl auch eher eine reaktionäre Gestik bedienen, womit ich nun dann doch noch begriffen habe, was du letzthin mit dieser Position des Reaktionärs gemeint hast und dass das noch die einzig mögliche Position sei. Der Krux auch beim Reaktionären ist natürlich der, dass man mit einer Gegenbewegung in gewissem Mass die Bewegung an sich, oder zumindest ihr Vorhandensein, anerkennt.
Als subversiv empfinde ich immer mehr das Leben selbst, das einem hingeworfen wird nur um es einem dann wieder entziehen zu können, das ist schon beinah pervers und ich neige dazu, mich der Feststellung von E.M.Cioran anzuschliessen, der zu seiner Zeit „vom Nachteil, geboren zu sein“ sprach. So stelle ich mich subversiv gegen dieses Geborensein-Verdikt und habe damit viel zu tun; die meisten der vielen um mich herumwuselnden Artgenossen interessieren mich daher nur wenig, sie sind mir zusehends uninteressant geworden, die machen immer etwa dasselbe: fressen, koten, vögeln, schiessen sich gegenseitig über den Haufen; ein Desinteresse, das mich ganz gut vor der Aussonderung von feuchtwarmem Moralgewäsch schützt.
Mit Herzlichen Grüssen, Dein designierter Langzeitpatient und Rebell Pierroz
Ja immerhin subversiv wie Cioran, der auch alles als hoffnungslos gesehen hat. Da musste schon ein vitaler Hitler her, damit er kurzzeitig aus seinem Nihilismus fand: den fand er „symphatischer und bewunderungswürdiger“ als alle anderen Politiker (später hat er sich entschuldigt, aber gesagt ist gesagt). Dann hat er alles dekonstruiert, jede Form, jeden Gedanken, tuttiquanti, wie dann auch die grossen Franzosendenker. Alles ist unfähig, dürftig, verdächtig und umsonst.
Also ehrlich, das ist nicht meins, sonst würde ich mich konsequenterweise vors Tram werfen. Es führt einfach nirgends hin. Die meisten unserer Mitmenschen sind zwar genau so wie du und er sagen, das ist das Paretoprinzip überall in der Natur. Aber das ist kein Grund zur Verzweiflung, man geniesse einfach das Spektakel, es gibt einem Freiraum (wenn man mehr allein sein kann als andere), und Kultur war schon immer elitär.
Deshalb bin ich auch gegen jeden Kollektivismus, und in diesem Sinne stubenrein-strammer Reaktionär. Ich reagiere zunehmend allergisch auf jede Vereinnahmung, die meistens in Form eines „Wir“, einer Sprachregelung oder eines Solidaritätsappels daherkommt. Also ja, klare Gegenbewegung, gegen Impf- und Maskenzwänge, Gendervorschriften, lächerliche Facebook-Fahnen, Klimabekenntnisse, neu Energiesparen und Krieg (auf einmal wieder in), sowieso gegen jede Massenveranstaltung und jedes Massenphänomen. Ich bin die pure Reaktion (aber immer interessiert an jeder Argumentation, denke ich wenigstens).
Vielleicht ist ja auch Ciorans Verachtung von allem Denken und Tun (des einzelnen, wenn ich es richtig verstehe) nur eine besondere Form der Selbstüberhöhung und recht eitel, er ist der „Checker“. Intellektuelle müssen das quasi von beruf weg sein, aber wie er und Sartre totalitäre Figuren wie Hitler und Stalin bewunderten, das diskreditiert die ganze Veranstaltung schon sehr.
Das schreibe ich dir nicht zu, weil du dich im Grunde immer abstrampelst zwischen all diesen Gedanken. Meine ich jedenfalls zu wissen. Interessanter als Nihilist ist der Jazzer, immer auf der Suche nach der Balance zwischen Gruppe, Solo, Klischee, Originalität, Destruktion und (Gruppen-)Groove. Schöpferische Zerstörung, wie bei Schumpeter. Ein besserer Denker als Cioran.
Cordiali saluti, mein Freund.
Nein, in die Nihilisten-Ecke lasse ich mich nicht abdrängen, so einfach wird man mich nun auch wieder nicht los. Ich denke, dass jede Charaktere so seine eigene Medizin braucht, und auf mich, der tendenziell Vieles unnötigerweise zu wichtig, und das Weltgeschehen eher zu ernst nimmt was nicht gesund ist, wirken die Auswürfe dieser dem Abbruchwesen verpflichteten Philosophen wie an der Arzneimittelzulassungsbehörde vorbeigeschmuggelte Muntermacher.
Denn umso weniger Dinge mir in meiner Welt die Sicht in die Weite verstellen, desto weniger ist da noch etwas, über das ich stolpern kann, oder dann werde ich immerhin mehr Musse haben, über das wenige noch Verbliebene, besser stolpern zu können.
Was ich da treibe, sehe ich eher als eine Auslese des Realen, und das Reale ist dem Nichts und somit dem Nihilismus wahrscheinlich näher, als es auf das erste Hinschauen den Eindruck macht. Vorteilhaft erscheint mir fast in jedem Fall eine Überprüfung des Vorhandenen auf ihre Güte und Gültigkeit zugunsten einer möglichst wirklichkeitsnahen Einschätzung der jeweiligen mich betreffenden Situation.
Übrigens wäre ich mir da nicht so sicher, dass du, wärst du ein vollendeter Nihilist, dich vor die Trambahn werfen würdest, weil du dir vom Tod genauso wenig einen Vorteil erwarten dürftest als vom Dasein, in dem du gerade steckst und dem du voll ausgeliefert bist.
Gut ist auch, wenn ich mehr oder weniger zufällig über die Eingebungen zb. eines Cioran stolpere, dass solche Köpfe sehr weit draussen in den Randbezirken der vorstellbaren Denklandschaft Markierungen hinterlassen haben, und mir durch ihre schiere Entfernung von meinem eigenen, doch eher beschränkten Horizont eines ehemaligen Topfpflanzengärtners, einen Geländegewinn offerieren, was meiner Lust für Bewegungsfreiheit sehr entgegenkommt, weshalb ich ihnen, ihre Hitler & Stalin-Irrfahrten ausgenommen, überaus dankbar für ihre konsequent forcierten Denkvorleistungen bin.
Diese Denkmodelle und die darin enthaltenen Provokationen helfen mir zudem, mich nicht zu stark in dieses Dasein zu verlieben. Ich erhoffe mir dadurch unnötige Ängste, Schmerzen, und zu grosse Wirrnis vermeiden zu können, gerade dazu sind die nihilistischen und existenzialistischen Denkmodelle ein überaus wirksame Kur.
Sollte ich einmal auf der Suche nach einer alles umfassenden Heilkunde gewesen sein, so bin ich es schon lange nicht mehr, bin eh ein durch und durch Ungläubiger. Nach etlichen, teils auch belustigenden Irrfahrten, sind mir einige wenige Denkmodelle fast wie Freundschaften erhalten geblieben, und als Fazit der beruhigend beunruhigende Verdacht, dass ich mit diesem Leben wahrscheinlich wohl eher nicht fertig werde, umgekehrt das Leben aber spielend mit mir fertig werden wird.
Gerne werde ich mich nun also um den von dir genannten „Schumpeter“ kümmern, und da offenbaren sich je nachdem dann eben auch schon die Nachteile, die eine Vereinzelung mit sich bringen: es kann einem in der selbstforcierten Absonderung und mangels ein paar treuer Verbündeter, fast gleich, wie wenn man sich ständig in einem grossen Haufen lärmender Idioten aufhält passieren, dass wichtige Impulse an einem vorbeirauschen. Nur was heisst schon wichtig?
Und da beginne ich eben bereits schon wieder lieber Ballast abzuwerfen als noch weiteren zusammenzutragen, und erhoffe mir mit einem konsequenten Rückbau auf ein anarchisch unmittelbares Daseinserlebnis zu stossen, was mir erfreulicherweise auch immer wieder gelingt. Eine Lust, die mich wahrscheinlich in der Endzeit der Punk-Ära noch anlachte, und da sind dann wahrscheinlich auch jene Schnittmengen, die unsere Freundschaft unterfüttern, nämlich in der Frechheit, eine Mehrzahl aller Kulturereignisse als an sich relativ einfach zu entlarvende Massenhysterien und Moden ähnlicher Machart zu verwerfen, sprich: Müll als Müll auf den Müll zu werfen.
Deiner Deutung des Elitären mag ich aber noch immer nicht wirklich folgen; elitär, respektive Elite von was? müsste man dann doch fragen. Stellten denn Hitler, Stalin und deren Kumpanen dazumal nicht auch eine Elite dar, und die Führungsköpfe der Rüstungsindustrie, die wahrscheinlich keinem Staatsmann je ins Wort fallen werden, wenn diese den Krieg wieder als „in“ propagieren; sind dann die nicht auch eine Elite?
Zur Elite wird doch quasi jeder aggressive Kleinverbund, der sich von der Unmenge überzähliger hilfloser kleiner Endverbraucher, die ausserstande sind sich in irgendeiner Weise durchzusetzen, abspaltet und Machtansprüche in Taten umsetzt. Masse und Macht von Canetti kommt mir da in den Sinn, ein Gebräu, das ich aber, lange ist’s her, als ungeniessbar habe beiseite legen müssen.
Das Elitäre in der Kunst und den Kunstschaffenden zu verorten, und meinen, dort sei vielleicht ein etwas vitalerer Menschenschlag anzutreffen, und gemäss dieser Logik auch interessantere und überragendere Werke in grosser Dichte zu entdecken, von diesem Dünkel haben mich die letzten Jahre geheilt, die ich als unbedeutender Zaungast am Rande des hiesigen, grösstenteils spiessbürgerlich miefigen, und in der Summe dann einfach nur noch ätzend langweiligen Kulturbetriebs verbracht habe. Da tummeln sich in der Überzahl Minenergieleuchten und die Überstrahler, die guten Handwerker sind rar, wie überall, wie in jeder anderen Berufsgattung auch.
Die Anlage Grossartiges zu schaffen wie auch die der Niedertracht, haben die Menschen ja gemein und setzt sich, falls überhaupt, nicht erst in Verbindung mit einer bestimmten Berufsgattung frei. Gerade diese penetrante, grössenwahnsinnige Wichtigtuerei, die man auch als eine kleinkindliche Aufmerksamkeits-Cholerik deuten könnte, die da aus der Kunstwelt einem entgegenweht, nehme ich fast ausnahmslos nur noch als Fäulnisgeruch war. Sollte sich mein Verdacht bewahrheiten, dass das Potenzial der Unternehmung Mensch an sich erschöpft, und wir derzeit die Symptome eines Ausgelaugt-Seins zu durchleben haben, wird man dann vielleicht schon bald einmal sehr tief abtauchen müssen, das Rad vergessen, um es danach wieder neu entdecken zu dürfen.
Doch auch wenn nun einiges im Niedergang begriffen sein sollte, wäre das ja an sich nichts aussergewöhnliches, sondern nicht viel anderes als die natürliche Wellenform eines Kulturzyklus. Der unsrige hat in Sachen Kunst, man nehme das Bild eines Komposthaufens, seine volle Grösse wahrscheinlich so ungefähr ende der 70ziger Jahre erreicht und sackt seither wieder in sich zusammen. Dessen Inhalt mit frivolem Übermut zu recyclen ist alles, was den tragischerweise Zuspätgeborenen übrig geblieben ist. Egal eigentlich, und wer bereit ist solche Gesetzmässigkeiten zu akzeptieren, regt sich auch gleich weniger darüber auf und einigen gelingt es sogar, sich dabei zu entspannen.
Zufrieden bin ich also, wenn es mir jeweils von Tag zu Tag gelingt, mich und mein Menschenleben nach meinen eigenen Vorstellungen, und möglichst frei von unnötigem Ballast, durch dieses Daseinsereignis zu bringen. Ich pflück mir aus all diesem menschengemachten Kulturkram, das meiner Ansichten nach Beste heraus, und übe mich in der Kunst, mir den ganzen Rest, möglichst ohne dass dieser mir gröberen Schaden beifügt, den Buckel runterrutschen zu lassen. Absolut keine Lust verspüre ich, und da geht es mir wahrscheinlich ähnlich wie dir, mich bei diesen die Masse ausmachenden dumpfbackenen, stets achtsam opportun konsumierenden Vollintegrierten, sprich, Superbons sammelnden Endverbrauchern, einzureihen.
Immerhin, die bis anhin gültige und weitgehendst durchgesetzte Spielanleitung dieses Nationalstaates hier duldet, oder verbietet oder verunmöglicht meine Art von Daseinsversuch nicht explizit, und das finde ich doch schon einmal sehr gut; sehr gut, bis ausgezeichnet.
Ich habe gesprochen und grüsse dich Ganz Herzlich aus dem Krankenzimmer Nr.1 des Kunstsanatoriums Zürich, Anfang Februar 2023
Dein designierter Langzeitpatient & multiple Härtefall Pierroz (fernab ernstzunehmender Aussichten auf Schadensminderung)