Autonomie – Ein Versuch über das gelungene Leben – Beate Rössler

Beate Rössler Autonomie Ein Versuch über das gelungene Leben

Beate Rössler: Autonom sind wir nur gemeinsam mit anderen – das bedeutet jedoch auch, dass man sich gegebenenfalls auch gegen bestimmte andere entscheiden können muss, gegen ihre Normen und Ziele, und dass man das Recht und die Freiheit hat, sich gegen die eigene Familie, gegen die eigene Herkunft und damit für andere soziale Kontexte zu entscheiden, wenn man denkt, dass das eigene Leben nur gelingen kann, wenn man eine solche Entscheidung trifft.

Persönlich liess ich mal mein gelungenes Leben, alle vermeidbaren Entscheidungen und alles was mit Familie zu tun hat ruhen, und fokussierte meine handgespitzte Aufmerksamkeit auf den Versuch, mir mit diesem Buch von Beate Rössler über den Begriff »Autonomie« Klarheit zu verschaffen, denn in meinem C.H.Beck Lexikon der Ethik steht bei Autonomie nichts als ein kleines hübsches Pfeilsymbol, das auf einen Eintrag zum Begriff Freiheit hinweist.

Beate Rössler beginnt im ersten Kapitel ihres Buches »Autonomie – Ein Versuch über das gelungene Leben« mit einer begrifflichen Annäherung, also genau dem wonach es mich dürstet. Hier, zu Beginn des Buches, hat Autonomie noch die beinahe simple Bedeutung eines selbstbestimmten, eigenen Handelns.

So simpel bleibt es aber mit der Autonomie leider nicht, weil da zu allen Zeiten von unglaublich vielen Denkern unglaublich viel gedacht worden ist, und diese auf jede Menge unterschiedliche, teils sich auch widersprüchliche, oder den Begriff Autonomie gar in Luft auflösende Ergebnisse gekommen sind.

Beginnen wir mit Immanuel Kant dem Aufklärer: Individuelle Autonomie bedeute, sich selbst Gesetze, moralische Gesetze geben zu können. Für ihn, Kant, sei der Begriff Autonomie ein kategorischer, weil er mit der Würde des Menschen korrespondiere, und weil die physische und geistige Vervollkommnung, zu der wie ich annehme Kant Autonomie zählt, eine Pflicht des Menschen gegen sich selbst sei.

John Stuart Mill erweitert dann diese moralische Autonomie zur individuellen Autonomie, zur individuellen Freiheit: Die einzige Freiheit, die diesen Namen verdient, besteht darin, unser eigenes Wohl auf unsere eigene Art zu suchen.

Anschliessend werden die bekannten Einschränkungen, zitiert, dass eben die eigene Freiheit nur soweit gehen könne, wie sie ähnliches Ansinnen anderer nicht tangiere, und Autonomie erhält neu graduelle Fähigkeiten, aber auch Abwehrrechte gegen bevormundende Eingriffe, und die Menschen kriegen nun auch einen eigenen Charakter: Einen Charakter hat nur der Mensch, der eigene Begierden und Triebe hat als Ausdruck seiner eigenen Natur, die er sich durch Selbsterziehung kultiviert hat, so Mill.

Autonomie, dies nun der nächste Schritt, soll als einen richtig(?) verstandenen Freiheitsbegriff konkretisiert werden. Ab jetzt teilt sich unsere Welt also in eine richtige und eine falsche oder eine positive oder negative. Im Gegenteil zur negativen Freiheit, die auf Abwesenheit von Zwang basiert, bestehe die positive Freiheit in Optionen und Fähigkeiten diese zu realisieren um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Das Gegenteil von Autonomie und einem selbstbestimmten Leben sei übrigens Manipulation und Zwang, welche zu einer Entfremdung führe, bei der man für das eigene Handeln keine Lust mehr verpüre Verantwortung zu übernehmen. 

Bis heute seien solche negative Theorien im Schwange, dass nur die negative Freiheit, eine liberale Freiheit sei, die es den Personen selbst überlässt, wie sie ihre Freiheit leben wollen. Merksatz: wir sprechen fortan von liberalen und unliberalen Freiheiten. Ächz.

Die persönliche oder individuelle Freiheit wird des weiteren unterfüttert mit der simplen Frage, ob denn die Freiheit, die ich lebe, wirklich die einer autonomen Wahl ist, und damit wird vielleicht ein wenig klarer, weshalb der Begriff Autonomie eine Konkretisierung des Freiheitsbegriffs sein soll. Nun werden aber drei Bedenken aufgeführt.

Der erste Einwand ist der, dass die autonome Person nur dann wirklich frei ist, wenn sie die richtige(?) Wahl trifft.

Der zweite Einwand bezweifelt die Treffsicherheit einer Person bei der vermeintlich autonomen und authentischen Wahl, weil es immer Beweggründe gäbe, die uns nicht oder nicht im vollen Umfang bewusst seien.

Der dritte Einwand ist der, dass es eben auch Mitmenschen, dass es eine Gesellschaft gibt, die uns und unsere Entscheidungen beeinflussen. Autonomie und Freiheit, so schreibt Beate Rössler, sind nämlich immer durch soziale, kulturelle und politische Kontexte bedingt.

Gäbe es nur ein Mensch auf der Erde, also zum Beispiel mich, würde ich das Wort Autonomie demzufolge wahrscheinlich gar nicht kennen, denn Beate Rössler schreibt: Autonom sind wir immer in der Auseinandersetzung, im Dialog mit anderen. Autonomie zielt darauf, sich immer wieder – auch in den Routinen des Alltags – zu fragen oder doch wenigstens fragen zu können, ob dieses Leben, das ich lebe, wirklich das Leben ist, das ich selbst leben will, das mein eigenes ist. 

Es ist Frage nach dem was uns wichtig ist, egal ob das Beruf, Politik oder private Interessen, wie Freundschaften oder Familie ist, womit wir auch bei den Wünschen, die wir hegen angelangt sind, und auch bei unserem Willen.

In Sachen Wünsche, Wille und Autonomie sieht das Beate Rössler verkürzt so: Wenn ich den Willen habe, den ich haben will, bin ich autonom – und einen solchen Willen habe ich, wenn ich mich aufgrund von Reflexionen mit einem bestimmten Wunsch so identifizieren kann, dass er mich zum Handeln bringt.

Nun ist sind aber unsere Wünsche und unsere Überzeugungen nicht ureigene Erzeugnisse, sondern unterliegen allerlei Beeinflussungen aus unserer Umgebung und unserer Herkunft, und die ultimative Definition von Autonomie muss bereits wieder revidiert werden und klingt neu so: Autonom kann eine Person erst dann genannt werden, wenn sie in der Lage ist, über die Ursachen ihrer Wünsche und Überzeugungen zu reflektieren und diese dann entweder mit Gründen zu reflektieren und diese dann entweder zu verwerfen oder anzunehmen. Ächz.

Neu im Spiel sind nun also Gründe, die Wünscherei fällt raus, dafür kommt jetzt auch noch Authentizität mit rein, dieser Begriff spiele in den Autonomiediskursen immer eine wichtige Rolle, man soll sich eben mit seinen Überzeugungen identifizieren können und aus eigenen Gründen handeln… Merksatz 2: ab sofort sind wir von unseren eigenen Überzeugungen überzeugt(!).

Nun also flott weiter zur Kunst des autonomen Handelns: Autonom handeln können wir nur, wenn wir die richtigen(?) Optionen, Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten in einer Gesellschaft zur Verfügung haben. Und dabei spielen auch die sozialen und politischen Bedingungen eine Rolle und hier kommt es dann zum zweiten Mal: Autonom sind wir nämlich nur gemeinsam mit anderen. Dies brachte doch Sartre so schön auf den Punkt: Die Hölle, das sind die anderen.

Gleich anschliessend schreibt Beate Rössler: Das bedeutet jedoch auch, dass man sich gegebenenfalls auch gegen bestimmte andere entscheiden können muss, gegen ihre Normen und Ziele, und dass man das Recht und die Freiheit hat, sich gegen die eigene Familie, gegen die eigene Herkunft und damit für andere soziale Kontexte zu entscheiden…

Damit befinden wir uns inmitten der sozialen Bedingungen für Autonomie, und da steht geschrieben, sozial eingebunden sein heisse, auf »Formen sozialer Anerkennung angewiesen sein«. Es kommt noch schlimmer: Ohne eine bestimmte Selbstachtung oder ohne Selbstwert ist es nicht möglich autonom zu handeln, so Beate Rössler, weil wenn das, was eine Person glaubt, »nicht wenigstens von bestimmten anderen oder bestimmten Gruppen ihrer sozialen Umgebung anerkannt, geschätzt, für sinnvoll gehalten wird … diese nicht autonom, nicht aus eigenen Gründen handeln kann.

Starker Tobak und das Aus jeder Robinsonade, da bleibt nicht viel übrig von und für unsere schöne Autonomie. Nun folgt aber im Zuge dieser Erschütterung Beate Rösslers wiederum revidiert und erweiterter Autonomie-Psalm: Autonomie bedeutet mindestens, dass wir aus guten(?), eigenen, auf Reflexion beruhenden Gründen handeln können, dass wir über die Herkunft unserer Wünsche, Überzeugungen und Pläne, wie überhaupt über den Sinn unserer Vorhaben, nachdenken können, dass wir unseren eigenen Wertvorstellungen folgen und dass wir eingebunden sind in Beziehungen der Anerkennung. Schon wieder – Ächz.

Nun, Schreck lass nach, haben wir auch noch den »Sinn« auf dem Tablet: und es wird auch in diesem Buch einmal mehr Albert Camus und sein »Der Mythos des Sisyphos« bemüht und anschliessend ein gewisser Taylor: Nur das, was wir selbst wollen, unser eigener Wille, unsere tiefsten Interessen an dem, was wir tun, kann uns einen Sinn des Lebens geben, der immer von innen heraus kommen muss, nie von aussen verliehen werden kann.

Mit diesem »nur was wir selbst wollen« lachen wir uns gemäss Beate Rössler mindestens zwei Probleme an: Problem 1: kommt es in einem sinnvollen Leben nur darauf an, was man selbst will? und Problem 2: ob es reicht, wenn man das eigene Leben selber sinnvoll findet, oder ob es dazu noch andere braucht, die dieser Vorstellung zustimmen?

Nun, dieses Wollen soll weder bizarr noch pathologisch sein, gesünder ist es auch, wenn das, was einer will von der Gesellschaft einigermassen toleriert oder sich zumindest innerhalb der Gesetzgebung bewegt und, das Wollen muss in der Realität stattfinden, sonst wird das nichts mit einem gelungenen Leben, sondern nur ein illusionäres, trauriges Schauspiel der Selbsttäuschung.

Angelangt im Reich der Gründe und Begründungen ist den Denkern klar geworden, dass der Sinn, den wir in unseren Projekten so verzweifelt zu entdecken und zu finden glauben, nicht entdeckt sondern immer erfunden wird, also konstruiert ist – konstruiert, weil uns durch die Finten von Kant und Hegel auch noch der liebe Gott abhanden gekommen ist.

Die quasi individuellen, vermeintlich autonom gestalteten Lebensentwürfe basieren nun also auf allerlei gottlosen Hintergrunderzählungen, verallgemeinerten Wertungen, postreligiöser Erzählungen und allerlei Überzeugungen, gesellschaftlich kulturelle Recyclingware also, aus denen wir uns eigene, vermeintlich originelle Mönchskutten stricken, was aber ok sei, weil der Mensch nunmal so ticke, so und nicht anders.

Nun gab aber leider der bösartige Theodor Adorno in seiner Schrift »Negative Dialektik« der Autonomie bereits vor vielen Jahren den Todesstoss: Frei war das Individuum als wirtschaftendes bürgerliches Subjekt, soweit vom ökonomischen System Autonomie gefordert wurde, damit es funktioniere. Damit ist seine Autonomie im Ursprung schon potentiell verneint. Laut Adorno sei Freiheit in einer Warengesellschaft eh nicht möglich, wir seien dessen Wertegesetzen unterworfen.

Auch Foucault wittert hinter jeder Ecke Machtbeziehungen, und Freiheit sei schon immer durch kulturelle als auch politische Systeme dominiert gewesen. Einzig durch die Kritik, mit der man diese ganze selbsteinbrockte Suppe kritisiere, käme man, als das Höchste der Gefühle zu einer gewissen freiwilligen Unknechtschaft(!).

Beate Rössler bleibt in ihren Ausführungen fair und verweist klar auf diesen hübschen Strauss von Ambivalenzen, die den Begriff Autonomie umblümeln, und wenn etwas greifbar ist, nach ihrer mit Sorgfalt angelegten Auslegeordnung, dann dass Autonomie als Begriff und Umsetzung nicht als eine Rezeptur greifbar, sondern immer als eine Art Wieder – oder Neuentdeckung angegangen werden soll.

Diese Begriffe, wie eben Autonomie, Freiheit, Wille, Sinn, Friede, und andere Monolithen erhalten durch die Zeitläufte immer wieder andere Bedeutungen und Bedeutungsbezüge. So ist das nunmal mit der Sprache, man sollte aufhören damit und schweigen, denn ein Wort ist quasi nie gesetzt, sondern hat eine Art Leben, mal gehts einem Begriff gut, dann krankt er, in schlechten Zeiten wird er über Strecken schlichtweg ungeniessbar – so sehe ich das.

Solche wissenschaftliche Formate, wie dieses Buch »Autonomie – Ein Versuch über das gelungene Leben« von Beate Rössler, sind mir mittlerweile ziemlich verleidet. Ich empfinde das Ganze als eine Begriffsjongliererei, die mir nur wenig einbringt. Viel Plackerei für ein paar vage Einsichten, die sich mir aber in Kürze wieder verschliessen, und danach beschleicht mich der Gedanke, ich sei jetzt eigentlich gleich dumm wie zuvor.

Beate Rössler - Autonomie - Ein Versuch über das gelungene Leben

mit einem matten Gruss aus dem Kunstsanatorium – Euer Patient Pierroz

Service Public: Das Buch »Autonomie – Ein Versuch über das gelungene Leben – Beate Rössler« bei Suhrkamp

Das Buch von John Stuart Mill »Über die Freiheit« bei Reclam

2 Kommentare

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