Anja Nora Schulthess: Schreiben hat für mich existenziellen Charakter

Ich habe mich nicht getraut ihr Werk zu rezensieren. Aber ich habe Anja ein paar Fragen zum Schreiben im Allgemeinen und zu ihrem beeindruckenden Debut Lyrikband „worthülsen luftlettern dreck“ gestellt.

Hier nun meine Fragen – und die Antworten der Lyrikerin Anja Nora Schulthess.

-Ist das Schreiben Teil Deiner täglichen Arbeit oder braucht es eine bestimmte emotionale Verfassung, wo Du dann schreiben musst?

Letzteres. Abgesehen davon, dass mir, seit ich letztes Jahr Mutter geworden bin, wirklich die Zeit fehlt zu schreiben, braucht das schon eine bestimmte emotionale und mentale Verfassung. Es gibt aber diese intensiven Phasen, da schreibe ich täglich. Nachts, wenn mich etwas umtreibt, unmittelbar nach dem Aufstehen, noch halb im Traumtaumel, oder bei langen Spaziergängen. Ich schreibe, wenn mich etwas bewegt und beunruhigt. Nur dann.

-Ist das Schreiben für Dich eine reine Spielform der Kunst oder hat sie für Dich existenziellen Charakter, um mit diesem Leben einigermassen zu Rande zu kommen?

Schreiben hat für mich existenziellen Charakter. Ich will jetzt nicht dieses abgedroschene Autorinnenklischee «Ich schreibe, weil ich nicht anders kann» bemühen. Ich könnte auch ohne Schreiben leben, aber das wäre ein anderes Leben und das will ich nicht.

-Der Wortschatz in Deinem Buch „worthülsen luftlettern und dreck“ ist aus einer einzigen Wortwolke heraus geschaffen, mit welcher Absicht?

Diese Frage verstehe ich nicht. Aber das Wort «wortwolke» gefällt mir.

-Das Buch ist vollständig in Kleinschrift gesetzt warum?

Mich in einem literarischen Werk, in dem es gerade um das, was die Sprache verfehlt geht, der «normalen» Kommunikationssprache mit ihren Regeln der Syntax, Grammatik, Gross- und Kleinschreibung zu bedienen; dieser «Konsenskrückensprache», die suggeriert, klar, eindeutig und selbstverständlich zu sein – das wäre für mich ein Widerspruch. Deshalb die Torpedierung der Grammatik, der Syntaxzerfall, die Wortneuschöpfungen – letztlich der Versuch die Grenzen des Sagbaren auszuloten.

-Woher nimmst Du Wörter wie „schattenmund“ oder „sargklar“

Sie fallen mir zu. Sie klingen. Und ich glaube, dass sie funktionieren.

-Deine Schreibe sprudelt nicht gerade von Lebensglück und Übermut. Bist du ein trauriger Mensch?

Ich bin ein wahnsinnig fröhlicher Mensch und ein wahnsinnig trauriger Mensch. Das (gesunde) Mittelmass liegt mir nicht.

-In Teil III von „worthülsen luftlettern dreck“, dekonstruierst, brichst, – reisst Du die Sprache auseinander. Ist die Sprache am Ende? oder sind es wir?

Wir sind dort am Ende (mit der Sprache), wo es um Liebe geht, um Tod, um Kunst, um die unmittelbare Erfahrung. Das heisst nicht, dass sich mit Sprache nichts darüber sagen lässt. Aber eben nicht alles. Ich denke meine Texte sind einerseits ein Versuch ein wenig an dieses Unmittelbare heranzukommen und andererseits Ausdruck eines Schmerzes darüber dieses Aussen des Symbolischen notwendigerweise immer wieder zu verfehlen.

-Zeigst Du uns das sprachliche Spiegelbild einer im Untergang begriffenen Kultur?

Nein, das wäre mir zu kulturpessimistisch.

-Du bist zurzeit gemeinsam mit Schlagzeuger Vincent Glanzmann mit einer Leseperformance auf der Bühne. Auf welche Weise erweitert dieses Lesen in Verbindung mit gespielter Musik das lyrische Erlebnis?

Ich glaube, dass meine Texte davon leben gesprochen zu werden. Sie funktionieren stark über den Rhythmus. Im Dialog mit Vincent wird der Beat der Texte verstärkt und gestört, der in ihnen angelegte Syntaxzerfall durch Überlagerung verschiedener Stimmen und Klänge ins Extrem getrieben. Ausserdem kommt mit der Performance eine Körperlichkeit und verletzliche Intimität ins Spiel, die für die Texte zentral sind.

-Eine letzte Frage, die ich Dir vielleicht mit einer etwas bösartigen Neugierde als ein alternder schon etwas griesgrämiger Mensch stelle: Was suchst hier auf Erden?

Letztlich suche ich wahrscheinlich nach Begegnungen, Ereignissen, diesen Momenten, wo etwas mit einem passiert – in der Liebe, der Politik, der Kunst – diese Augenblicke, die einen antreiben weiterzumachen. Wobei «suchen» das falsche Wort ist. Es geht mehr darum offen und wach zu sein für diese Momente und Begegnungen und sich von ihnen affizieren zu lassen.

 

Anja Nora Schulthess
Ein Gedicht von Anja hier bei Vitaltransformer

-kommende Leseperformances:

3. 4.17: Kunstsanatorium16b Zürich
18. 5.17: Ono, Bern
19. 5.17: Sendung «Schreibende Frauen lesen», Radio LORA
20. 5.17: Wiediker Jazzfest, Enfant Terrible
22. 6.17: Treibhaus, Luzern

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